Weltklimakonferenz Standpauke am Amazonas: UN-Chef verkündet „bittere Wahrheit“
Zu wenig, zu spät: Die meisten Staaten haben in Sachen Klimaschutz ihre Hausaufgaben nur unzureichend gemacht. Nun heißt es: Nachsitzen in Brasilien. Der Klimagipfel beginnt mit düsteren Prognosen.
Zehn Jahre nach dem historischen Pariser Klimaabkommen hat UN-Chef António Guterres Staats- und Regierungschefs aus aller Welt ermahnt und radikale Schritte im Kampf gegen die Erderwärmung gefordert. „Die bittere Wahrheit ist, dass wir es nicht geschafft haben unter 1,5 Grad zu bleiben“, sagte UN-Generalsekretär bei einem Gipfel in Belém am Rande des Amazonas-Regenwaldes. Vor dem offiziellen Start der 30. Weltklimakonferenz kommende Woche hat Brasilien zu dem Krisentreffen eingeladen.
Guterres prangert „moralisches Versagen“ an
Guterres verwies auf wissenschaftliche Erkenntnisse, dass die im Pariser Klimaabkommen angestrebte 1,5-Grad-Grenze spätestens zu Beginn der 2030er Jahre befristet überschritten wird – mit fatalen Folgen. Jedes Zehntelgrad bedeute mehr Hunger, mehr Vertreibung und mehr Leid. Zurzeit sei der Kampf gegen die Klimakrise unzureichend, denn die Welt steuere auf eine Erwärmung von weit über zwei Grad zu und der Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase steige weiter. „Das ist moralisches Versagen – und tödliche Fahrlässigkeit.“
Der UN-Chef rief zu einem schnellen Kurswechsel auf. So dürften keine neuen Kohlekraftwerke und Öl- und Gasprojekte mehr genehmigt werden. Auch forderte Guterres, bis 2030 die weltweite Entwaldung komplett zu stoppen.
Eine „COP der Wahrheit“ an symbolischem Ort
Der Gastgeber, Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva, warnte davor, die Ziele des Pariser Abkommens nun aufzugeben. „Die COP30 wird die COP der Wahrheit sein“, sagte Lula. Es sei das erste Mal, das ein Klimagipfel im Amazonas stattfinde – und es gebe „kein größeres Symbol für die Sache der Umwelt als den Amazonas-Regenwald“ mit seinen Tausenden Arten und Pflanzen.
Für den Schutz dieses und anderer Tropenwälder will Brasilien viel Geld sammeln und einen neuen, milliardenschweren Fonds etablieren. Länder, die ihre Tropenwälder erhalten, sollen belohnt werden. Für jeden zerstörten Hektar sollen hingegen scharfe Geldstrafen fällig werden und in den Fonds fließen.
In Brasilien wieder mehr Raum für Protest
Neben aller Krisenstimmung zeigte sich der brasilianische Gastgeber zu Beginn auch in seiner bunten Vielfalt: Vor den Anzugträgern aus aller Welt tanzten grün-blau kostümierte Maskottchen und Musiker mit bunten Bändern an den Hüten. Vor dem Gelände forderten Aktivistinnen und Aktivisten mit Tänzen und Gesängen mehr Klimaschutz. Nach drei Jahren Klimakonferenzen in autoritär regierten Staaten hat die Zivilgesellschaft diesmal wieder mehr Raum für Proteste.
Ob sich der Konsens von Paris vor zehn Jahren wiederbeleben lässt, bleibt jedoch fraglich. Die Franzosen brachten den Hammer, mit dem das historische Abkommen 2015 besiegelt wurde, in dieser Hoffnung mit nach Belém. Der britische Premier Keir Starmer beklagte, heute sei der Konsens leider nicht mehr vorhanden. Großbritannien stehe jedoch weiter „voll und ganz“ hinter der Netto-Null-Agenda, die auch der Wirtschaft zugute komme.
Aus dem Vereinigten Königreich reiste auch Thronfolger Prinz William an, dessen Familie sich seit Jahrzehnten dem Kampf gegen die Klimakrise verschrieben hat. Er erinnerte daran, dass diese keine entfernte Bedrohung sei – sondern schon heute kleine Dörfer wie riesige Städte betreffe. „Keine Ecke der Welt wird nicht betroffen sein“, sagte William. Es sei nun Zeit, sich die Frage zu stellen, welches Vermächtnis man hinterlassen wolle.
Merz am Freitag erwartet – USA nicht mehr dabei
Der chinesische Vize-Ministerpräsident, Ding Xuexiang, verwies auf den starken Ausbau erneuerbarer Energien in seinem Land – das weltweit mit Abstand am meisten Treibhausgase ausstößt. Grünes Wirtschaften sei der Trend der Zeit und schaffe Jobs, dem fühle sich seine Regierung verpflichtet. Ausdrücklich warb er dafür, Barrieren im Welthandel einzureißen, die auch die Verbreitung grüner Technologien behinderten – ohne den schwelenden Zollstreit mit US-Präsident Donald Trump ausdrücklich zu erwähnen. Die USA haben sich mit Trump erneut aus dem Pariser Klimaabkommen verabschiedet.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wird erst am Freitag in Belém für einen Kurzbesuch erwartet. Für einen Aufenthalt von 21 Stunden wird er insgesamt etwa genau so lange mit seinem Regierungsflieger unterwegs sein.
Klimakrise zeigt auch 2025 ihr zerstörerisches Gesicht
Die Weltwetterorganisation (WMO) zieht zum Auftakt eine verheerende Zwischenbilanz für das laufende Jahr: Viele Regionen Afrikas und Asien erlebten verheerende Überschwemmungen, in Europa und den USA gab es Waldbrände und mehrere schwere tropische Wirbelstürme. 2025 dürfte mit seinen anhaltend und alarmierend hohen Temperaturen das zweit- oder drittwärmste seit der industriellen Revolution sein. 2024 war das bislang heißeste Jahr mit etwa 1,55 Grad über der Referenzmarke.
Bislang tut die Menschheit zu wenig gegen eine weitere Eskalation: Die Treibhausgase in der Atmosphäre, allen voran CO2, haben laut WMO 2024 wieder Rekordwerte erreicht und stiegen 2025 weiter an. Immerhin in der EU sind die Netto-Emissionen im vergangenen Jahr um weitere schätzungsweise 2,5 Prozent zurückgegangen, wie die Europäische Umweltagentur (EEA) mitteilte. Bis 2024 sind die Emissionen der EU im Vergleich zu 1990 nunmehr um etwas mehr als 37 Prozent zurückgegangen.