Gaza-Waffenruhe Waffenruhe in Gaza - Kehrt Frieden ein in Nahost?

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Von den dpa-Korrespondenten
| 13.10.2025 02:02 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 8 Minuten
Ist die Waffenruhe der Beginn eines Friedensprozesses in ganz Nahost? Foto: Omar Ashtawy
Ist die Waffenruhe der Beginn eines Friedensprozesses in ganz Nahost? Foto: Omar Ashtawy
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In der Waffenruhe zwischen der Hamas und Israel sehen einige die größte Chance für Frieden in der Region seit Jahrzehnten. Ob sich die Hoffnung verwirklicht, dürfte vor allem von einem Mann abhängen.

Der Nahe Osten steht nach Jahrzehnten der Feindseligkeiten vor einer möglichen historischen Wende. Der zwischen Israel und der islamistischen Terrororganisation Hamas vereinbarte Austausch von Geiseln und Gefangenen samt einem Teilrückzug der israelischen Truppen bietet eine schmale, aber ernsthafte Chance auf ein neues Kapitel - in Gaza, aber auch in der gesamten Region. Es könnte die Phase eines längerfristigen Friedens bevorstehen. Doch in den kommenden Wochen und Monaten drohen viele Fallstricke.

Die Einigung der vergangenen Woche in Scharm el Scheich will US-Präsident Donald Trump heute mit weiteren Staats- und Regierungschefs am selben Ort in Ägypten besiegeln und hat „ewigen Frieden“ beschworen. Der Gaza-Krieg begann vor zwei Jahren mit dem beispiellosen Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 und führte zu einem Konflikt mit Zehntausenden Toten, darunter viele Zivilisten. Die katastrophale Kette von Ereignissen könnte nun abreißen, denn die Machtverhältnisse im Nahen Osten haben sich seitdem dramatisch verändert.

Israel hat seine Feinde militärisch zumindest geschwächt: die Hisbollah im Libanon, die Hamas im Gazastreifen, die Huthi im Jemen und den Iran, der sie alle unterstützt. In Syrien schwächte Israel die Regierung von Machthaber Baschar al-Assad, der schließlich gestürzt wurde - womit Irans Landweg zum Mittelmeer gekappt wurde. Auch die Milizen im Irak haben ihre Angriffe auf US-Truppen in der Region weitgehend eingestellt. 

Was wird aus dem Gazastreifen?

Nach Monaten des Krieges gilt seit Freitag die Waffenruhe im Gazastreifen. Die Hamas hat nach Worten ihres ranghohen Vertreters Chalil al-Haja Zusagen der USA und anderer Vermittler erhalten, dass der Krieg nun tatsächlich vorbei ist. Wenn Soldaten der USA oder etwa arabischer Länder die Waffenruhe wirklich absichern, werden Verstöße beider Seiten unwahrscheinlicher.

Doch besonders strittige Fragen bleiben wie bei vorigen Feuerpausen trotzdem ungeklärt: Wird die Hamas ihre Waffen abgeben, und wenn ja, an wen und wie? Tut sie es nicht, wird Israel seine Soldaten keineswegs abziehen. Selbst wenn die Hamas die Waffen abgibt, wird sie als politische Kraft - und empfundene Bedrohung für Israel - nicht einfach verschwinden. Parallel hat sich der Konflikt im besetzten Westjordanland mit den Palästinensern deutlich verschärft. 

Auch wenn die Kämpfe längerfristig enden, könnte in Gaza neues Chaos ausbrechen. Etwa durch Clans, die die Hamas schwächen wollen - erste Berichte über gezielte Tötungen und Racheakte gibt es bereits. Selbst ein Machtvakuum ist denkbar oder ein Bürgerkrieg. Wenn Warlords die Kontrolle in Gaza übernehmen, drohen Entwicklungen wie in Libyen oder Somalia. 

Ob sich die Lage im Gazastreifen auch nachhaltig stabilisiert und weitere Verhandlungen zu Ergebnissen führen, wird vor allem davon abhängen, ob der für Sprunghaftigkeit bekannte Trump den Druck auf Israel und Hamas aufrechterhält. Als Vorsitzender einer angedachten Behörde für den Wiederaufbau Gazas müsste er sich der Zukunft des Gebiets über Jahre verpflichten. Bis heute ist unklar, wer das Küstengebiet künftig regieren und wer den Wiederaufbau zahlen soll. „Die schwierigste Arbeit fängt jetzt an“, schreibt das Magazin „Foreign Affairs“. 

Trumps Plan biete keine Vision für das Recht der Palästinenser auf Selbstbestimmung, etwa in Form eines eigenen Staats, schreibt die britische Denkfabrik Chatham House. In der „enthusiastischen Hast, Frieden zu schließen“, habe Trump ein kaum drei Seiten langes Papier vorgelegt, das schlicht zu wenig sei für ein umfassendes Friedensabkommen. Womöglich war es vor allem sein Versuch, wie erhofft den Friedensnobelpreis zu erhalten. 

Wie entwickelt sich die Lage in Syrien und im Libanon?

Auch über Gaza hinaus gibt es Anzeichen, dass sich die Sicherheitslage in der Region verändern könnte. Mit Israels Nachbarland Syrien scheint eine zumindest strategische Zusammenarbeit denkbar, um Spannungen an der Grenze abzubauen. Übergangspräsident Ahmed al-Scharaa hat sich offen gezeigt für eine Annäherung an das eigentlich verfeindete Israel im Gegenzug für die Aufhebung der meisten US- und EU-Sanktionen gegen Syrien.

Im Gespräch ist hier ein Abkommen, das einen Waffenstillstand der beiden Länder von 1974 faktisch erneuern würde. Es wäre aber wohl eine begrenzte Einigung aus Sicherheitsinteressen, keine diplomatische Annäherung oder gar Normalisierung der Beziehungen. In Syrien kommt es immer wieder zu Kämpfen und Gewalt, auch neue Angriffe Israels sind dabei weiter möglich. Streitpunkt bleiben außerdem die von Israel besetzten Golanhöhen. 

Im Libanon gilt unterdessen seit fast einem Jahr eine Waffenruhe zwischen der Hisbollah und Israel, auch wenn dessen Militär die Iran-treue Miliz weiterhin angreift. Die Regierung im Libanon steht unter Druck der USA und anderer Länder, die Hisbollah zu entwaffnen und die staatliche Souveränität wiederherzustellen. Erst dann kann der Libanon in seiner schweren Wirtschaftskrise dringend benötigte Finanzhilfen bekommen für den Wiederaufbau nach dem jüngsten, schweren Krieg mit Israel.

Die Hisbollah soll ihre Waffen eigentlich bis Ende des Jahres abgeben, lehnt diesen Schritt aber ab, solange Israels Angriffe im Land andauern. Eine neue Eskalation innerhalb des Libanon scheint hier ebenso möglich wie neue, mitunter schwere Konfrontationen mit Israel.

Könnte Saudi-Arabien die Beziehungen mit Israel normalisieren?

Solch ein Schritt würde durch ein echtes Ende der Kämpfe in Gaza zumindest wahrscheinlicher. Trump hatte 2020 während seiner ersten Amtszeit die Abraham-Abkommen auf den Weg gebracht, mit denen mehrere arabische Staaten die Beziehungen zu Israel normalisierten. Auch mit Saudi-Arabien gab es darüber Verhandlungen, die durchkreuzt wurden vom Hamas-Angriff und Israels verheerendem Krieg. 

Saudi-Arabien - schon jetzt eine Führungsmacht in der arabischen Welt - verspricht sich von normalisierten Beziehungen zu Israel eine noch stärkere eigene Rolle in der Region. Riad verlangte von den USA zuvor im Gegenzug unter anderem Sicherheitsgarantien. Israels Angriff auf die Hamas-Führung in Katar dürfte aus Sicht Saudi-Arabiens ein Beweis dafür gewesen sein, dass der Golfstaat aus gutem Grund nach solch einer Vereinbarung strebte.

Das Königreich hat aber immer wieder glaubhafte Schritte zu einem Palästinenserstaat zur Bedingung gemacht. Solch ein Staat, den mit Frankreich, Großbritannien und Kanada inzwischen mehr als 150 von 193 UN-Mitgliedstaaten anerkennen, ist zuletzt ein wenig greifbarer geworden. Die israelische Regierung lehnt die Gründung eines palästinensischen Staats im Rahmen einer Zweistaatenlösung aber strikt ab, weil sie darin eine existenzielle Gefahr für Israel sieht. 

Ist der Konflikt zwischen Israel und dem Iran beendet? 

Zumindest ist der heiße Konflikt vorerst beendet. Nach dem zwölf Tage langem Krieg der beiden Erzfeinde Israel und Iran im Juni trat eine Waffenruhe in Kraft. Der Grundkonflikt bleibt aber bestehen. Israel sieht sich durch das iranische Atomprogramm bedroht und griff daher mit Unterstützung der USA Atomanlagen an. Zum Ausmaß der Zerstörungen gibt es allerdings unterschiedliche Angaben. 

Der Krieg, das Atomprogramm und militärische Strategien hätten mehr Fragen als Antworten aufgeworfen, schreibt Expertin Nicole Grajewski. „Doch es scheint wahrscheinlich, dass die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten keine Frage des „Ob“, sondern des „Wann“ ist“, erklärt die Analystin der Denkfabrik Carnegie. 

Vor dem Krieg hatten Teheran und Washington über das Atomprogramm verhandelt. Eine Fortsetzung der Gespräche ist ungewiss, ein neuer Termin steht noch aus. Das Misstrauen der iranischen Führung dürfte nach den Angriffen von Israel und den USA weiter gewachsen sein. Auch die Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) wurde vorerst ausgesetzt. 

Welche Vorteile hätte die Befriedung des Nahen Ostens für die USA?

Ob im Iran, im Libanon oder auch Gaza: Grundlinien von jahrzehntealten Konflikten werden nicht einfach verschwinden. In Teilen der arabischen Welt wird ein Bild bleiben vom Aggressor Israel, der den „Frieden herbeibomben will“, wie die „Washington Post“ nach Israels Angriff in Katar im September schrieb. Und in Israel wird der Schrecken des 7. Oktober bleiben und die Angst, umzingelt zu sein von Feinden. Selbst mit Staaten, die mit Israel Frieden geschlossen haben, gibt es bis heute kaum eine echte Aussöhnung oder gar Freundschaft der Völker.

Aber die USA haben - nicht erst unter Trump - ein Interesse daran, darauf hinzuwirken, die Region zu stabilisieren. Für Trump geht es gleich um mehrere Anliegen. Ein stabilerer Naher Osten würde den USA erlauben, militärische Ressourcen wie Marineverbände und Raketenabwehrsysteme in den Indopazifik umzuschichten, was für Trumps Regierung mit Blick auf die Rivalen China und Russland ein zentrales strategisches Ziel ist.

Friedensverträge zwischen Israel und arabischen Staaten könnten zudem zu regionaler Kooperation bei der Sicherung von Handelswegen oder im Bereich Verteidigung zum Beispiel durch eine gemeinsame Raketenabwehr führen, was langfristig die militärische Last der USA senken würde. 

Es gilt für Washington aber auch, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen nach Israels Angriff auf die Hamas-Spitze in Katar, den die USA entweder nicht verhindern wollten oder konnten. Die Golfländer sind wichtige Kunden und haben Milliarden investiert in US-Rüstungsgüter, aber auch in die Unternehmen von Trumps Familie. „Solche Arten von Interessen haben US-Regierungen in der Vergangenheit hier nicht vertreten“, hob auch der Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, Guido Steinberg, im ZDF hervor. 

Und dann ist da noch die eine Hoffnung Trump, die ihn weiter antreiben könnte, sich nicht nur kurzzeitig für eine Befriedung des Nahen Ostens einzusetzen: der Friedensnobelpreis, der schließlich auch 2026 wieder vergeben wird.

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