Leben mit Demenz Wenn die Ehefrau ihren Mann für einen Fremden hält

Tatjana Gettkowski
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Von Tatjana Gettkowski
| 22.09.2023 12:09 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Wenn ein an Demenz erkrankter Mensch seinen langjährigen Partner nicht mehr erkennt, kann das eine Erfahrung sein, die erst einmal verarbeitet werden muss. Foto: Pixabay
Wenn ein an Demenz erkrankter Mensch seinen langjährigen Partner nicht mehr erkennt, kann das eine Erfahrung sein, die erst einmal verarbeitet werden muss. Foto: Pixabay
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Wenn der langjährige Lebenspartner oder ein Elternteil dement wird, ist die Wesensveränderung für Angehörige oft schwer zu ertragen. Die Demenzberaterin Sigrid Ubben gibt Tipps für den Alltag.

Weener - Inge und Heinz sind seit über 50 Jahren verheiratet und ein toll eingespieltes Team. Morgens radelt Inge los zum Bäcker und holt Brötchen, Heinz kocht währenddessen Tee und deckt den Frühstückstisch. Dann kommt Inge auf einmal ohne Brötchen zurück. Sie hat den Weg zum Bäcker nicht mehr gefunden. So fing es an mit der Demenzerkrankung. Wie Inge sich veränderte, war für ihren Mann schwer zu ertragen. „Mindestens einmal in der Woche melden sich Leute bei uns, weil sie einfach nicht wissen, wie sie mit solch einer Situation umgehen sollen“, sagt Andreas Cramer, Leiter des Altenzentrums Rheiderland. Die Einrichtung bietet daher regelmäßig kostenlose Seminarreihen zu dem Thema an. Sigrid Ubben gibt Tipps, wie Betroffene auf ihre demenzkranken Angehörigen umgehen. Die 60-Jährige ist Sozialarbeiterin und Gerontologin und bietet seit 15 Jahren Demenzberatung für Angehörige an.

Was und warum

Darum geht es: Demenzberaterin Sigrid Ubben gibt Angehörigen von Demenzkranken Tipps für den Alltag.

Vor allem interessant für: alle, die sich für das Thema Demenz interessieren oder durch erkrankte Angehörige betroffen sind

Deshalb berichten wir: Vom 18. bis 24. September findet die Woche der Demenz statt, um Menschen für die Krankheit zu sensibilisieren.

Die Autorin erreichen Sie unter: t.gettkowski@zgo.de

„Das schlimmste für die Angehörigen ist es, den geliebten Menschen aus dem gewohnten Bild zu entlassen und es zu akzeptieren und anzunehmen, dass er sich verändert“, sagt Sigrid Ubben. Demenzkranke werden nicht nur vergesslich, sie verlaufen sich, ihr Wesen verändert sich. „Manchmal erleben sie sich in einer anderen Zeit, sie fühlen sich in ihre Kinderzeit oder Jugend versetzt. Wenn die eigene Mutter plötzlich zum Kind wird, ist das für einige schwer zu ertragen“, erzählt die Demenzberaterin. Besonders schwierig sei es für Angehörige, wenn der langjährige Partner oder die eigenen Eltern sie nicht mehr erkennen würden.

Wie reagiert man als Angehöriger darauf?

„Man sollte mitspielen, auf sie eingehen und sie in ihrem Andersland lassen“, sagt Sigrid Ubben. Man könne sich beispielsweise jeden Tag als jemand Neues vorstellen. Auf keinen Fall sollte man auf der Realität beharren und versuchen, die Demenzkranken zu belehren. Das könne zu Frust und Aggressionen führen. „Manchmal ist die Welt, in der sie leben besser und schöner als unsere Realität“, weiß die Demenzberaterin aus ihrer Arbeit. „Wenn sie mitten im Sommer meinen, es ist Weihnachten, kann man sie doch in dem Glauben lassen. Es geht doch darum, dass sie sich wohlfühlen.“

Demenzberaterin Sigrid Ubben und Andreas Cramer, Leiter des Altenzentrums Rheiderland, stehen vor einer Haltestelle im Garten des Altenheims, die eigens für Demenzkranke eingerichtet wurde. Foto: Gettkowski
Demenzberaterin Sigrid Ubben und Andreas Cramer, Leiter des Altenzentrums Rheiderland, stehen vor einer Haltestelle im Garten des Altenheims, die eigens für Demenzkranke eingerichtet wurde. Foto: Gettkowski

Nach den Worten der Gerontologin sei die Demenzerkrankung immer noch mit Scham behaftet. Die Erkrankung in der Öffentlichkeit einzugestehen sei für viele Angehörige schwer. Einigen sei das peinlich. „Umso wichtiger ist es für die Betroffenen, zu erkennen, dass sie nicht allein sind“, sagt Sigrid Ubben. Sie hält es für wichtig, sich einer Angehörigen-Selbsthilfegruppe anzuschließen. „Allein durch den Austausch kann man viel über den Umgang mit Betroffenen lernen und die Krankheit verliert an Schrecken.“

Wie kann man orientierungslose Angehörige schützen?

Demenzkranke haben häufig einen starken Bewegungsdrang, aber gleichzeitig selbst in gewohnter Umgebung Schwierigkeiten, sich zu orientieren. „Man kann im Wohnumfeld beispielsweise möglichst vielen Bescheid sagen, dass die Person an Demenz leidet und an der Kleidung ein Adressschild befestigen“, so Ubbens konkreter Vorschlag. Nach den Worten von Andreas Cramer seien auch GPS-Tracker eine gute Möglichkeit, Demenzerkrankte ausfindig zu machen. „Dann braucht man keinen Suchtrupp mehr loszuschicken.“ Der Küchenherd ist bei Angehörigen, die Demenzkranke zu Hause versorgen, nach Erfahrung von Sigrid Ubben immer ein großes Thema. „Die sicherste Lösung ist es, einfach den Stecker zu ziehen.“ Sie rät außerdem dazu, gesundheitsgefährdende Stoffe wie Chlorreiniger & Co. sicher zu verwahren.

Bewegungsdrang – wirklich ein Problem?

In einem Punkt sind sich die beiden einig: Demenzkranke wegen ihres Bewegungsdrangs einzusperren, ist keine Lösung. „Wir haben eine Gruppe für Demenzkranke, in der sie sich im Endlos-Spazierweg im Garten bewegen können“, berichtet Andreas Cramer. Dort gibt es auch eine Bushaltestelle, an der Demenzkranke warten können. „Viele verniedlichen die Erkrankung nach dem Motto ‚Oma ist einfach ein bisschen tüddelig‘“, so Cramer, „wir wollen aber anders mit dem Thema umgehen und die Menschen mit ihren Bedürfnissen annehmen.“ Einige Einrichtungen haben sich auf Demenzkranke spezialisiert. „Viele haben ein gestörten Tag-und-Nacht-Rhythmus“, berichtet Sigrid Ubben. Im Fachjargon spricht man vom Sundownsyndrom. „In einigen Heimen sind Nachtcafés eingerichtet, in denen Demenzkranke nachts Kaffee trinken oder fernsehen können.“

Kostenlose Seminarreihe für Angehörige

Für Angehörige sei es aber immer ein einschneidender Schritt, einen demenzkranken Elternteil oder den Partner nicht mehr zu Hause zu betreuen, sondern in die stationäre Betreuung zu geben. „Manchmal muss man sich mit so einer Entscheidung beschäftigen, aber wenn man informiert ist und sich mit anderen Betroffenen darüber ausgetauscht hat, kann man eine gute Entscheidung treffen“, weiß Sigrid Ubben.

Am Mittwoch, 27. September, um 19 Uhr ist im Altenzentrum Weener eine kostenlose Info-Veranstaltung, in der die einzelnen Module der ebenfalls kostenlosen Seminarreihe vorgestellt werden.

Das Borromäus-Hospital in Leer bietet zudem eine Demenzsprechstunde für Patienten und Angehörige an. Sie findet montags von 15 bis 18 Uhr statt. Termine werden nur nach telefonischer Absprache vergeben. Diese ist dienstags bis freitags von 8 bis 11 Uhr unter Tel. 0491/8528808 möglich.

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