Brandts Welt Der Einbruch

Jan Brandt
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Eine Kolumne von Jan Brandt
| 05.08.2023 09:47 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 3 Minuten
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Jan Brandt schreibt regelmäßig eine Kolumne beim General-Anzeiger. Foto: Archiv
Jan Brandt schreibt regelmäßig eine Kolumne beim General-Anzeiger. Foto: Archiv
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In der Kolumne von Jan Brandt geht es diesmal um einen Einbruch und unbekannte Nachbarn.

„Meister, halt mal an“, rief mir mein Nachbar Arne zu, als ich gerade mit dem Fahrrad an ihm vorbeifahren wollte. „Es ist etwas passiert.“ Ich stoppte, stieg vom Rad, trat auf ihn zu. „Bei uns ist eingebrochen worden.“ – „Bei euch?“ Ich nickte zu Arne hin, woraufhin er mit dem Kopf schüttelte. „Nicht bei uns in der Wohnung, bei uns im Haus.“ – „Bei wem?“, fragte ich. „Bei Manuel.“ Ich kannte keinen Manuel, aber als Arne weitererzählte, wurde mir klar, dass dieser Manuel schräg unter mir wohnte, im dritten Stock, im anderen Treppenaufgang. Wir teilten die gleiche Hausnummer, die unterschiedlichen Treppenaufgänge waren durch A und B gekennzeichnet. Uns verband nichts weiter als ein gemeinsamer Innenhof, in dem die Mülltonnen standen und ein Gartenbereich, den kaum jemand nutzte, weil er den Tag über im Schatten lag.

Ich war Manuel in den sechs Jahren, in denen ich jetzt schon im Haus wohnte, nur ein paar Mal flüchtig begegnet, wir grüßten uns, unterhielten uns aber selten mehr als übers Wetter. Arne, der mit seiner Familie schon länger im Haus lebte und innerhalb des Hauses mehrmals umgezogen war, kannte dagegen alle. Manchmal hörte ich ihn vom Balkon aus lange mit den Nachbarn reden, er war so etwas wie die Seele des Hauses, das Kommunikationszentrum. „Die sind da richtig mit dem Stemmeisen rein“, er machte die Bewegung nach, indem er seine Hände zu Fäusten ballte, übereinanderlegte und zur Seite zog, „und haben alles durchwühlt, und Manuel ist ihnen sogar noch auf der Treppe begegnet, zwei Frauen.“

„Ich bin neulich auch jemandem auf der Treppe begegnet“, sagte ich, „bei uns im Treppenhaus.“ – „Was? Wem?“ Diesmal war es Arne, der auf mich zutrat. „Einem jungen Mann, so um die 30, der stand unten vor den Postkästen, und als ich hochging, kam mir eine junge Frau entgegen, im gleichen Alter, und als ich im vierten Stock ankam, sah ich, dass überall Klamotten verstreut lagen, die Maike und Olaf in einer Tüte vor die Tür gestellt hatten.“ Arne wollte wissen, wie die ausgesehen hatten und riet mir, mich bei der Polizei zu melden. „Die gehen hier von Haus zu Haus. Wir müssen aufrüsten.“

Im Hausflur hing ein Zettel an der Wand: „Achtung Einbrecher!“ Darunter stand die Zeit, morgens zwischen 9 und 11 Uhr, und eine Telefonnummer der Polizei – falls man „eine verdächtige Beobachtung“ gemacht habe. Aber die Begegnung mit den Fremden war so beiläufig gewesen, dass ich mich kaum an ihre Gesichter erinnern konnte. Ich stieg die Treppen zu meiner Wohnung hinauf, froh, vor einem halben Jahr in ein zweites Schloss investiert zu haben, stellte meine Einkäufe ab und trat auf den Balkon. Auf dem Balkon nebenan war eine Nachbarin gerade mit ihren Pflanzen beschäftigt. Ich sprach sie auf den Einbruch an, und in dem Moment öffnete sich das Fenster zwischen uns, und eine weitere Nachbarin schaltete sich in das Gespräch ein. Sie bekannten beide, zu Hause gewesen zu sein und nichts gehört zu haben. Dann stellten wir uns einander vor. „Christiane.“ – „Laura.“ – „Jan.“ – „Na“, sagte ich, „jetzt haben wir uns wenigstens endlich kennengelernt.“

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