Peking/Neu Delhi (dpa)
EU-China-Gipfel: Wer steht auf der „falschen Seite“?
Trotz Ukraine-Kriegs gibt es keine Kritik aus China oder Indien an Russland. Peking schiebt sogar Europäern und Amerikanern die Schuld zu. Was werden von der Leyen & Co. am Freitag Xi Jinping entgegnen?
Es geht im Ukraine-Krieg auch um die neue Weltordnung: Gibt es einen Rückschritt zum alten Spiel der Mächte mit Einflusssphären oder kann die von den Europäern bevorzugte regelbasierte Ordnung fortgesetzt werden?
Indem China und Indien dem russischen Präsidenten Wladimir Putin den Rücken stärken, stehen sie „auf der anderen Seite“, wie Diplomaten beklagen. Auf einem Videogipfel wollen die Spitzen der EU an diesem Freitag trotzdem versuchen, auf Staats- und Parteichef Xi Jinping einzuwirken. Er soll seinen Einfluss auf Putin zu nutzen, den Krieg bald zu beenden.
Eine unmögliche Aufgabe für Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel? Das Verhältnis zu China ist ohnehin angespannt wie nie: Die Europäer kritisieren die Verfolgung der Uiguren und Tibeter, die Unterdrückung der Opposition in Hongkong, Chinas Säbelrasseln gegenüber dem freiheitlichen Taiwan und seinen Druck auf kleine EU-Mitglieder. Seit chinesischen Sanktionen gegen EU-Vertreter liegt auch ein Investitionsabkommen auf Eis. Jetzt verschärft noch die Ukraine-Krise die Spannungen: Peking stellt die Europäer, die USA und die Nato als Hauptverursacher dar.
Gerade erst Schulterschluss demonstriert
Bei einem Besuch in China demonstrierten die Außenminister Russlands und Chinas, Sergej Lawrow und Wang Yi, eben erst den Schulterschluss. Wenn die Ukraine-Krise bewältigt sei, werde man sich gemeinsam mit anderen Gleichgesinnten auf eine „multipolare, gerechte und demokratische Weltordnung“ zubewegen, tönte Lawrow siegessicher. Wang Yi stimmte zu: Die Beziehungen hätten seit Jahresbeginn „neue Prüfungen bestanden“ und bewegten sich „in die richtige Richtung“.
Auch Neu Delhi, wo Lawrow am Freitag Gespräche führt, unterstützt die westlichen Sanktionen nicht. Ebenso wie China hat es die Invasion auch nicht verurteilt. Vergebens versuchten die Europäer und die USA, das Land zu Kritik am russischen Angriffskrieg zu bewegen. Aber Indien pflegt seit langem enge Beziehungen zu Moskau. Ein großer Teil der Ausrüstung seines Militärs kommt aus Russland. Es rüstet sich gegen die Rivalen China und Pakistan und ist schon bei Ersatzteilen auf Moskau angewiesen. Auch will Indien russisches Öl kaufen. So steckt Neu Delhi in einem Dilemma, da es gleichzeitig gute Beziehungen zu Washington pflegt - und hält sich lieber raus.
Widerspruch in sich
China hingegen verfolgt viel aktiver eine Art „pro-russische Neutralität“, wie Diplomaten dies nennen - ein Widerspruch in sich. Zudem gibt China auch argumentativ Rückendeckung. „Die Osterweiterung der Nato, angeführt von den USA, ist die Wurzel der Ukraine-Krise“, schreibt das Parteiorgan „Renmin Ribao“ („Volkszeitung“). Die Nato sei ein „Werkzeug der USA“. Wie Russland spricht China nicht von „Krieg“ oder „Invasion“, sondern von „spezieller Militäroperation“.
„China unterscheidet zwischen Rhetorik, die pro-russisch ist, und Diplomatie, die ausgewogener ist, und echten Taten, denen es an Unterstützung für Russland mangelt“, differenziert Yun Sun von der Denkfabrik Stimson Centre in Washington in der „South China Morning Post“. Die Rhetorik ziele vor allem aufs heimische Publikum, um Chinas Unterstützung für Russland - als geostrategischer Partner in der Rivalität gegen die USA - gerecht erscheinen zu lassen.
Und wie sieht es mit den Taten aus? Tatsächlich gehörten Chinas Banken zu den ersten, die die westlichen Sanktionen umsetzten, um nicht selbst zum Ziel zu werden. Auch gibt es Berichte über Zurückhaltung chinesischer Ölunternehmen bei Projekten in Russland, weil sie nicht wissen, ob sie ihr Geld sehen. Am Ende verfolge China allein eigene Interessen, wolle sich aber Russlands Unterstützung sichern, um weiter gemeinsam Front gegen die USA zu machen, „die im Mittelpunkt allen chinesischen Tuns stehen“, schildern Experten.
Auch warnende Worte aus China
Nur einige wenige chinesische Intellektuelle trauen sich, davor zu warnen, dass sich China damit auf die „falsche Seite der Geschichte“ stelle. Hu Wei, Vizevorsitzender eines Forschungszentrums beim Pekinger Staatsrat, argumentierte in einem - in China zensierten - Artikel im „US-China Perception Monitor“: „Im selben Boot zu sitzen wie Putin, wird Auswirkungen auf China haben, wenn er die Macht verliert.“ Er rät: „Sich von Putin zu trennen und die Neutralität aufzugeben, hilft Chinas internationalem Image und erleichtert die Beziehungen mit den USA und dem Westen.“
Auch Wang Huiyao, Gründer des regierungsunabhängigen Pekinger Zentrums für China und Globalisierung, schreibt in der „New York Times“: „Es ist nicht in Chinas Interesse, sich allein auf die anti-westliche Allianz mit Moskau zu stützen.“ Er plädiert wie die Europäer für eine Vermittlung Chinas, das seinen Einfluss auf Putin nutzen könnte. Doch dazu ist Xi Jinping aus Sicht von Diplomaten offenbar nicht bereit. Sie sprechen von einer „verpassten Chance für China, sich als verantwortungsbewusste Großmacht zu zeigen“.
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