Beirut (dpa)

Im Libanon kämpfen die Ärmsten um den Abfall

Arne Bänsch und Weedah Hamzah, dpa
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Von Arne Bänsch und Weedah Hamzah, dpa
| 24.02.2022 10:49 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 3 Minuten
Tagelöhner sammeln auf einer Mülldeponie verwertbare Dinge. Inmitten der schwersten Wirtschaftskrise im Libanon droht der Abfallwirtschaft ein neues Tief. Foto: Arne Bänsch/dpa
Tagelöhner sammeln auf einer Mülldeponie verwertbare Dinge. Inmitten der schwersten Wirtschaftskrise im Libanon droht der Abfallwirtschaft ein neues Tief. Foto: Arne Bänsch/dpa
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Die Menschen im Libanon erleben die schwerste Wirtschaftskrise der Landesgeschichte. Lebensmittel sind teuer, die Hauptstadt ist dunkel - weil es kaum Strom gibt. Nun kämpfen die Ärmsten sogar um den Müll.

Umgeben von beißendem, säuerlichen Gestank und Matsch umringen Dutzende Tagelöhner die Müllfahrzeuge, unter ihnen viele Kinder mit dreckverschmierten Gesichtern.

„Ich muss hier arbeiten, um Geld zu verdienen und meiner Familie zu helfen“, erzählt ein siebenjähriger Junge auf einer Mülldeponie nahe der Küste in der libanesischen Hauptstadt Beirut. Auf der Suche nach etwas Plastik oder Metallschrott begeben sich die Müllsammler oft in Lebensgefahr, dicht neben schweren Maschinen. Nicht selten kommt es zum Streit zwischen Fahrern und Müllsammlern.

Die Szenen, die sich hier abspielen, sind das jüngste Beispiel der immensen Wirtschaftskrise im Land. Nun kämpfen die Ärmsten sogar um den Abfall, um ein bisschen Geld zu verdienen. Auch in den Straßen stapelt sich der Müll, junge Männer wühlen in den Tonnen nach Verwertbarem. Der Libanon leidet unter der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise seiner Geschichte, verschärft durch die Corona-Pandemie und die verheerende Explosion im Beiruter Hafen im August 2020. Dem Staat fehlt Geld, während viele Libanesen über die Korruption der politischen Eliten klagen. Inzwischen leben rund drei Viertel der Bevölkerung in Armut.

Abfalltrennung funktioniert nicht mehr richtig

Auch die Abfalltrennung funktioniert nicht mehr richtig, nachdem die dafür zuständigen Anlagen bei der Hafenexplosion zerstört wurden. Seitdem laden die Müllwagen den Abfall einfach auf Deponien ab. Walid Bu Saad, Finanzmanager des privaten Entsorgungsunternehmens Ramco, schimpft über die Situation. Seine Fahrer fühlen sich auf der Deponie von Müllsammlern bedroht. Die Konflikte scheinen die Behörden nicht im Griff zu haben. Geplagt von der Finanzkrise, hat der Staat dem Unternehmen schon lange kein Geld mehr gezahlt. „Man verbringt die meiste Zeit damit, seinem Geld hinterherzulaufen, während die Zentralbank einen anlügt“, klagt der Manager. „Wir sind definitiv nicht in der Lage, unseren Betrieb fortzusetzen“, erklärt Bu Saad.

Den Behörden seien durch die Finanzkrise die Hände gebunden, erklären hingegen Regierungsvertreter. Unterdessen hofft Libanons Umweltminister Nasser Jassin auf Unterstützung der Weltbank, um etwa zerstörte Anlagen zu reparieren, wie er der Deutschen Presse-Agentur auf Nachfrage mitteilte. „Wir haben endlose Diskussionen und Verhandlungen geführt, um das System am Laufen zu halten.“

Müllkrise längst ein Umweltproblem

Die Müllkrise sei längst zu einem Umweltproblem geworden, klagen Aktivisten. Sie machen sowohl Regierung als auch privaten Unternehmen schwere Vorwürfe. „Die korrupten Regierungen waren nur daran interessiert, einen Vertrag mit einem privaten Auftragnehmer zu unterzeichnen, der ihren Interessen und nicht denen der Öffentlichkeit dient“, klagt der Aktivist Radscha Nudschaim. „Sie waren einfach unprofessionell, dysfunktional und nur daran interessiert, Geld für ihre eigenen Taschen zu verdienen.“

© dpa-infocom, dpa:220224-99-263596/2

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