Berlin/Düsseldorf (dpa)

Industrie befürchtet „Stop-and-go-Jahr“

Andreas Hoenig, dpa
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Von Andreas Hoenig, dpa
| 13.01.2022 10:09 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Ein Walzwerk im brandenburgischen Eisenhüttenstadt. Foto: Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa
Ein Walzwerk im brandenburgischen Eisenhüttenstadt. Foto: Soeren Stache/dpa-Zentralbild/dpa
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Die Industrie beschäftigt rund acht Millionen Menschen. Die Folgen der Corona-Krise belasten die Firmen weiter. Bei wichtigen Zukunftsthemen gibt es große Unsicherheiten.

Der erhoffte Boom nach schwierigen Corona-Zeiten lässt aus Sicht der deutschen Industrie auf sich warten. „Der Aufschwung kommt nicht richtig in Fahrt“, sagte Industriepräsident Siegfried Russwurm in Berlin.

„Die Auftragsbücher sind relativ voll, die Produktion hält jedoch nicht mit der Nachfrage Schritt.“ Pandemiebedingte Einschränkungen und Lieferengpässe beeinträchtigten große Teile der Wirtschaft. Russwurm sprach von erheblichen, teils fundamentalen Risiken für die Unternehmen. Der Wirtschaft drohe ein weiteres „Stop-and-go-Jahr“.

Viele Unsicherheiten

Russwurm sagte, selten sei ein Jahresausblick mit so viel Unsicherheit behaftet gewesen. Die Pandemie sei immer noch das bestimmende Thema. Der erhoffte „Post-Corona-Boom“ bleibe aus. Eine Erholung werde sich bis zum Sommer hinauszögern, dies sei aber ein eher optimistisches Szenario. Denn: Sollte die Omikron-Variante des Coronavirus ein Land wie China oder andere für Deutschland wichtige Märkte wie die USA de facto lahmlegen, hätte das verheerende Folgen für die deutsche Wirtschaft, sagte Russwurm.

Nach dem coronabedingten Wirtschaftseinbruch 2020 hatte sich die Wirtschaft zwar im vergangenen Jahr wieder erholt. Das Wachstum blieb aber hinter den Erwartungen zurück. Das hat auch mit Lieferengpässen zu tun, unter denen nach Auskunft des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) viele Betriebe in der Automobilindustrie, der Elektroindustrie oder im Maschinenbau leiden. Die Engpässe bremsten die industrielle Wertschöpfung in den Jahren 2021 und 2022 um jeweils mehr als 50 Milliarden Euro aus. Fehlende Mikrochips, Bauteile und Rohstoffe würden die Produktion noch längere Zeit beeinträchtigen.

Der BDI blickt deswegen nur mit „verhaltener Zuversicht“ auf die wirtschaftliche Erholung. Die Industrie rechnet mit einem Wirtschaftswachstum in diesem Jahr von 3,5 Prozent, nach 2,5 Prozent im vergangenen Jahr. Die deutschen Exporte legen laut Prognose um vier Prozent zu - gerade einmal halb so viel wie im vergangenen Jahr.

Die Ampel-Koalition will investieren

Optimistischer ist das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Es erwartet 2022 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 4,5 Prozent. Zwar werde die sich rasch ausbreitende Corona-Variante Omikron die Wirtschaftsentwicklung im Winterhalbjahr bremsen, doch werde sich die Wirtschaft ab dem zweiten Quartal erholen und dann von Nachholeffekten profitieren. Der private Konsum dürfte wieder stärker in Schwung kommen, so der Wissenschaftliche Direktor des IMK, Sebastian Dullien, in Düsseldorf. Auch die Lieferengpässe dürften sich langsam entspannen.

Positive Effekte für die Konjunktur erwartet das IMK auch von der Politik der neuen Ampel-Koalition. Mit dem Koalitionsvertrag seien wichtige Weichenstellungen für Investitionen in die klassische Infrastruktur und die digitalen Netze vorbereitet worden.

Die Industrie forderte die neue Bundesregierung auf, den Industrie-, Export- und Innovationsstandort zu stärken. Hohe Energiekosten, schleppender digitaler Wandel, mangelnde Infrastruktur-Investitionen und hohe Steuern machten den Standort immer weniger attraktiv für Unternehmen aus dem In- und Ausland.

Großen Handlungsbedarf sieht die Industrie auch bei einem der zentralen Zukunftsthemen, dem Klimaschutz. Bis 2045 soll Deutschland klimaneutral werden, das bedeutet einen riesigen Umbau der Wirtschaft mit einer grundlegenden Umstellung von Produktionsverfahren zum Beispiel in der Stahlindustrie.

Russwurm sagte, der politische Handlungsdruck zum Erreichen der Klimaneutralität bis 2045 beim gleichzeitigen Erhalt einer global wettbewerbsfähigen Industrie sei „gewaltig“. Deutschland müsse einen „Investitionsturbo“ einlegen.

Die Regierung müsse dafür sorgen, dass sich die Investitionen der Unternehmen und der Bürgerinnen und Bürger wieder lohnen - mit „Superabschreibungen“, einem massiven und schnellen Infrastrukturausbau weit über die jetzigen Planungen hinaus und schnelleren Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Die Ankündigung von Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) und der neuen Regierung, Klimaschutzverträge als ein zentrales Instrument zur Unterstützung der Transformation in der Industrie einzusetzen, sei richtig. Die Umsetzung aber müsse unverzüglich erfolgen.

Der Staat will mit den sogenannten Carbon Contracts for Difference die Industrie beim Einstieg in klimaneutrale Produktionsverfahren unterstützen und die Kosten planbarer machen. Die Verträge sollen im Kern dafür sorgen, dass klimafreundliche Technologien gegenüber herkömmlichen Technologien wettbewerbsfähig werden. Russwurm sagte, solche Klimaschutzverträge würden den Staat Milliarden kosten, sie könnten kein Dauerinstrument sein.

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