Berlin/Düsseldorf/Stuttgart (dpa)

Deutsche Museen wollen koloniale Kontexte aufarbeiten

Martin Oversohl und Gerd Roth, dpa
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Von Martin Oversohl und Gerd Roth, dpa
| 02.01.2022 11:56 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
Gedenkköpfe eines Königs aus der Bronzegießergilde Igun Eronmwon stehen in Hamburg. Foto: Daniel Reinhardt/dpa
Gedenkköpfe eines Königs aus der Bronzegießergilde Igun Eronmwon stehen in Hamburg. Foto: Daniel Reinhardt/dpa
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Seit Jahrzehnten gibt es kaum Fortschritte bei der Aufarbeitung von kolonialer Vergangenheit in deutschen Museen. Die Debatte um die Benin-Bronzen bringt neuen Schwung. Doch es geht um viel mehr.

Museen in Deutschland stehen an der Schwelle zu einem neuen Umgang mit Raubgut und Kulturobjekten aus kolonialer Vergangenheit.

Das machen Verantwortliche in den Häusern und politische Entscheidungsträger in Gesprächen mit der Deutschen Presse-Agentur deutlich. Im Zentrum steht zunächst die in diesem Jahr geplante Rückübertragung der Eigentumsrechte an den Benin-Bronzen.

Etwa 1100 der kunstvollen Bronzen aus dem Palast des damaligen Königreichs Benin, das heute zu Nigeria gehört, sind in rund 20 deutschen Museen zu finden. Die Objekte stammen größtenteils aus den britischen Plünderungen des Jahres 1897. Ziel der Bundesregierung sind substanzielle Rückgaben in diesem Jahr, zunächst aus den fünf größten Beständen.

Weißer Fleck in der Erinnerungskultur

Kulturstaatsministerin Claudia Roth will zudem alle deutschen Museen mit solchen Objekten im Januar zusammenbringen. Roth sieht „einen weißen Fleck in unserer Erinnerungskultur. Das sind die Themen Kolonialismus und Dekolonialisierung.“

Von der Rückübertragung verspricht sich der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, Auswirkungen auf neue internationale Zusammenarbeit. „Wir haben mit der nigerianischen Seite vereinbart, dass weiterhin Kunst aus Benin in Berlin und in anderen deutschen Museen gezeigt werden kann“, sagte Parzinger der dpa in Berlin. „Dies wäre dann auch ein zukunftsfähiges Modell einerseits für die Aufarbeitung von kolonialem Unrecht sowie andererseits für ein neues Miteinander, das weiterhin die Zirkulation von Weltkunst ermöglichen soll.“

„Die Gespräche um die Benin-Bronzen haben in den vergangenen Monaten eine neue Intensität gewonnen“, sagte Parzinger, der selbst an den Verhandlungen beteiligt ist. Was zurückgehen werde und welche Objekte als Leihgaben gezeigt werden könnten, werde im Detail zu besprechen sein. „Wir möchten gerne solche Objekte bei uns zeigen, die einen repräsentativen Querschnitt durch die Kunst von Benin ergeben.“

Parzinger regte eine internationale Vereinbarung an, in der sich „die europäischen Staaten zusammen mit den Herkunftsländern einmal grundsätzlicher zur Frage des Umgangs mit Kulturgütern aus kolonialen Kontexten verständigen“. Dabei gehe es nicht nur um die Rückgabe bei eindeutigen Unrechtskontexten. „Faire und gerechte Lösungen könnten in Ausnahmefällen auch Objekte ohne nachweisbaren Unrechtskontext betreffen, wenn sie für die Identität von Herkunftsgesellschaften besondere Bedeutung haben.“

Es geht um mehr als nur die Benin-Bronzen

Die neue Vorsitzende der Kulturministerkonferenz der Länder, Nordrhein-Westfalens Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen, plädierte für Offenheit. „Erstmal muss alles auf den Tisch“, sagte die parteilose Ministerin der dpa in Berlin. Dafür sei eine digitale Plattform freigeschaltet worden. „Dieser Prozess muss fortgesetzt werden: aufklären, Kontakte finden - gerade bei Kunst im kolonialen Kontext ist es wichtig, die richtigen Partner zu identifizieren, an die etwas zurückgegeben werden kann.“

„Wenn wir ein Beispiel mit den Benin-Bronzen vollzogen haben, könnte das den gesamten Prozess beschleunigen“, sagte Pfeiffer-Poensgen. Dies könne „auch eine Blaupause sein für andere Vorhaben dieser Art“.

Für Baden-Württembergs Kunstministerin Theresia Bauer geht es dabei nicht darum, einen Wettlauf zu starten um möglichst viele zurückgegebene Kulturgüter. Ziel sei es auch nicht, „unsere Museen leerzuräumen“, sagte die Grünen-Ministerin der dpa in Stuttgart. „Ziel ist es vielmehr, dass wir insgesamt ein neues Verhältnis bekommen zu den Dingen, die aus problematischen Kontexten in unseren Museen angelandet sind und dass mit größerer Sensibilität beim Einkauf oder bei der Ausstellung von Objekten vorgegangen wird.“

Für Bauer gehört dazu, dass gerade dort, wo zu Unrecht Sammlungsgut erworben worden sei, dieses im Dialog mit den Herkunftsländern zurückgeführt werde. „Und je näher Probleme unethischen Verhaltens an die Gegenwart heranreichen, desto dringlicher wird dies“, betonte sie. „Das ist kein Thema von vorgestern, sondern es ist hochaktuell. Auch heute finden Kriege statt und Raubgut wird heute auf den Kunstmärkten gehandelt.“

Bereitschaft zur Restitution

Der Generalintendant des Berliner Humboldt Forums, Hartmut Dorgerloh, warnte vor falschen Erwartungen. „Auch bei Restitutionen gelten nicht unsere Zeitmaßstäbe“, sagte Dorgerloh der dpa in Berlin. „Zwischen Entscheidungen und deren tatsächlichen Umsetzung können manchmal Jahre liegen. Partnerschaft heißt dann, sich auch auf andere Zeitvorstellungen und auf andere Abläufe einzulassen.“

In Deutschland gelte es, ein klares Signal zu senden und die unmissverständliche Bereitschaft zu erklären, dass restituiert werden soll. „Wenn man es ernst meint mit der Abgabe von Deutungs- und Entscheidungshoheit, dann können wir hier in Europa nicht alleine entscheiden, wie, wann und zu welchen Konditionen Rückgaben erfolgen. Und da ist das Spektrum der Möglichkeiten groß, von Leihgaben in den hiesigen Museen über die digitale Restitution, über den Tausch mit anderen Objekten bis hin zur Zirkulation.“

Für Berlins Kultursenator Klaus Lederer darf die Rückgabe nicht zur „Frage eines Ablasshandels“ werden. „Es geht nicht darum, mit großer symbolischer Geste einzelne ausgesuchte Sammlerstücke zurückzugeben und danach einen Haken an die Sache zu machen“, sagte der Linke-Politiker der dpa in Berlin. Man müsse auch über postkoloniale, globale Beziehungen, ungerechten Welthandel und fortgesetzte Ausbeutung in der Gegenwart reden, die auch auf koloniale Wurzeln zurückzuführen seien. Es gehe um Migrationsbewegungen auf dem Globus, um Chancengerechtigkeit in der globalen Teilhabe an Ressourcen und Wohlstand.

Entscheidend sei nicht, wo welches Kulturgut sich zu welchem Zeitpunkt befinde, „sondern ob anerkannt wird, dass Kulturgüter aus anderen Kontexten hierher verbracht wurden unter Machtverhältnissen, die man als mindestens undemokratisch bezeichnen muss“. Lederer: „Das bedeutet weder, dass die Depots hier leer gemacht werden und unsere Museen zukünftig leer stehen, noch, dass wir von heute auf morgen, ohne mit der Wimper zu zucken einfach alles nur zurück verschiffen.“

© dpa-infocom, dpa:220102-99-565184/5

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