GA-Weihnachtsaktion

Musik kann auch Schwerstkranke erreichen

Astrid Fertig
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Von Astrid Fertig
| 07.12.2021 19:02 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Musiktherapeut Manfred Lüsing-Hauert spielt auf der Gitarre für einen dauerbeatmeten Patienten der FIP. Musik soll Abwechslung und Freude in den Alltag der FIP-Bewohner bringen. Foto: Fertig
Musiktherapeut Manfred Lüsing-Hauert spielt auf der Gitarre für einen dauerbeatmeten Patienten der FIP. Musik soll Abwechslung und Freude in den Alltag der FIP-Bewohner bringen. Foto: Fertig
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Das Gehör ist der Sinn, der beim Menschen am längsten funktioniert - auch wenn er im Wachkoma ist. Musiktherapeut Manfred Lüsing-Hauert spielt für die Patienten der FIP in Barßel Klavier und Gitarre.

Barßel - Manfred Lüsing-Hauert setzt sich mit seiner Gitarre ans Bett eines Patienten. Er spricht ihn freundlich an, erzählt, dass er jetzt für ihn spielen möchte. Das Gesicht des jungen Mannes scheint sich zu entspannen. Seine Augen sind geöffnet. Lüsing-Hauert zupft die Saiten. Töne erklingen, eine Melodie entsteht. Sein Blick liegt dabei auf seinem Gegenüber, seine ganze Aufmerksamkeit ist ihm zugewandt. Wie reagiert der Patient? Mag er das, was er da erlebt? Es entwickelt sich ein permanenter Austausch zwischen Zuhörer und Musiker.

Dafür wird gesammelt

Der General-Anzeiger widmet seine Weihnachtsaktion in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Stiftung der Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO) „Ein Herz für Ostfriesland“ in diesem Jahr der Arbeit in der Facheinrichtung für Intensivpflege, FIP, in Barßel. Mit Hilfe von Spenden soll für die Wachkoma-Patienten eine Rollstuhl-Rikscha angeschafft werden. Die funktioniert ähnlich wie ein Lastenfahrrad: Vorn kann der Rollstuhl mit dem sitzenden Passagier hineingestellt werden. Ein solches Spezialfahrrad würde den Bewegungsradius der FIP-Patienten und ihrer Familien entscheidend vergrößern. Sie könnten miteinander Ausfahrten unternehmen – etwa auf dem Deichwanderweg der nahegelegenen Soeste.

Lüsing-Hauert kann die Reaktion seines Gegenübers an den Geräten ablesen, an die der junge Mann angeschlossen ist. Er erlebt es aber auch beim Patienten selbst. Dafür ist der Musiker sensibilisiert. Auch Menschen im Wachkoma zeigen Reaktionen. „Wenn sie ihre Augen groß öffnen, ist das ein Zeichen der Zustimmung“, weiß der 66-Jährige. Einige reagieren mit Lauten und durch Kopfbewegungen abwehrend. Dann weiß Manfred Lüsing-Hauert, dass es genug ist.

Gehörsinn am längsten funktionstüchtig

Seit 2007 arbeitet der gebürtige Emsländer, der in Mitling-Mark wohnt, in der Facheinrichtung für Intensivpflege, FIP, als Musiktherapeut. „Musik kann auch Schwerstkranke erreichen, da das Gehör der Sinn ist, der am längsten funktionsfähig bleibt“, erläutert der Leiter der Einrichtung, Volker Bley.

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Interview GA-Weihnachtsaktion
26.11.2021

Er hat Lüsing-Hauert kennengelernt als Musiklehrer seiner Kinder und ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte, Musik für die Patienten der FIP zu machen. Das konnte und wollte der. Lüsing-Hauert spielt seit seiner Kindheit Gitarre und Klavier, hat in Oldenburg Musikwissenschaften studiert und arbeitet seit 1996 an der Fachschule für Heilerziehungspflege am St. Lukas-Heim in Papenburg als Lehrer. Außerdem unterrichtet er privat Musikschüler.

Seit 15 Jahren spielt Musiker in der FIP

Nach dem Umzug der FIP 2007 in das Gebäude am Barßeler Mühlenweg fing der Musiktherapeut dort an. Er kommt ein- bis zweimal wöchentlich und musiziert für etwa 16 der insgesamt 72 dort untergebrachten Patienten. Die Angehörigen sind informiert, dass es das Angebot gibt. Es richtet sich grundsätzlich an jeden Patienten, besonders an die, die vor ihrer Erkrankung selbst mit Musik zu tun hatten.

KIDS, der Förderverein der Einrichtung, war von Anfang an mit im Boot und finanziert einen Teil seiner Stelle. Einen Teil zahlt die FIP selbst. Musiktherapie für Dauerbeatmete und Schwersthilfebedürftige wird nicht von den Krankenkassen übernommen. „Das ist schon absurd“, findet Manfred Lüsing-Hauert. Denn er weiß, dass Musik den Kranken etwas bringt.

Erlebnisberichte von Wachkomapatienten

Bevor er in der FIP begann, hat der Musiktherapeut Berichte gelesen von Menschen, die im Koma lagen und wieder erwacht sind. Damit er versteht, wie deren Lebenswelt ausgesehen hat, was sie angenehm fanden, was nicht. Das gehe über die rein medizinischen Fakten weit hinaus, sagt er.

Was er in der FIP mache, sei einerseits therapeutische und pädagogische Beschäftigung mit dem Patienten über die Musik, aber gewissermaßen auch ein Konzerterlebnis. Der 66-Jährige kann auf dem Klavier und mit der Gitarre frei spielen, was gewünscht wird, sei es Rock, Pop, Klassik oder Schlager. Je nachdem, was der Patient in seinem früheren Leben gerne gehört oder selbst gespielt hat. Oft entwickelt er für seine Zuhörer eigene Klangwelten, Eigenkompositionen, die stark rhythmisch sind. Ein musikalisches Kaleidoskop, das auf die Seele der Zuhörenden wirkt.

Patienten entspannen sich zu den Klängen

Wenn er spielt, erzählt Lüsing-Hauert, beginne manchmal das ganze Gesicht des Patienten zu lachen, begleitet von zustimmenden Lauten. Angehörige würden bei ihren Lieben Stimmungsbilder und Gesichtsausdrücke erleben wie sonst nicht. Wenn sie den Patienten im Arm halten, könnte sie spüren, wie der sich zu den Klängen entspannt. Selbst der andere Patient in einem Zweibettzimmer, berichtet der Musiktherapeut, werde oft unter der dem Klangspiel erkennbar lockerer.

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Das Krankheitsbild in der FIP trage eine gewisse Form von Melancholie in sich. „Ein Mensch möchte etwas und kann es nicht“, schildert Lüsing-Hauert. Da dürfe man nicht überreizen. Bei einigen Patienten sei unklar, was sie sehen. Sind es Schatten, sind es Bilder? Dass die Schwerstpflegebedürftigen hören, weiß der Musiktherapeut. Er hat es selbst ausprobiert. Wenn er ein Geräusch macht, reagieren sie.

„Krankheit gehört zum Dasein dazu“

Ihn macht der Umgang mit den Patienten nicht melancholisch, da habe er Professionalität entwickelt, sagt er. Wenn er erlebe, wie starke Angehörige mit den Krankheitssymptomen umgehen, relativiere das die Trauer. „Krankheit gehört zum menschlichen Sein dazu“, stellt Lüsing-Hauert fest. Sie ist Realität. Aber Musik sei glücklicherweise ebenfalls Bestandteil dieser Welt. Schon seit Urzeiten hat der Mensch musiziert, Gesang und Töne hervorgebracht, weil es ihn freute. Die Bedeutung, die Musik im menschlichen Miteinander hat, versucht Lüsing-Hauert auch seinen Patienten in der FIP zu vermitteln.

Jemanden mit Tönen zu heilen und aus dem Koma zu reißen, war ein Traum, sagt er. Es ist ein Traum geblieben. Doch Musik biete den Patienten das, was sie auch bei ihren gesunden Mitmenschen auslöst, nämlich Freude und Abwechslung. Wenn ein Schwerstkranker das Gitarrenspiel von Manfred Lüsing-Hauert wahrnimmt, ist das für ihn ein anderer Außenreiz als die alltägliche Pflege. Es ist etwas, das den Impuls auslöst, seine Sinne anders wahrzunehmen. Das ist bei den Menschen in der FIP nicht anders als bei den Menschen draußen, und das verbindet.https://www.paypal.com/donate?hosted_button_id=38XPGLGFYG8MC