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Daniel ist für immer ein Fünfzehnjähriger geblieben

| | 03.12.2021 20:03 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 8 Minuten
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Christa Gust-van Vlijmen hat eine innige Beziehung zu ihrem Sohn Daniel. Die 65-Jährige besucht den jungen Mann, der seit 15 Jahren im Wachkoma liegt, mindestens einmal pro Woche. Fotos: Fertig
Christa Gust-van Vlijmen hat eine innige Beziehung zu ihrem Sohn Daniel. Die 65-Jährige besucht den jungen Mann, der seit 15 Jahren im Wachkoma liegt, mindestens einmal pro Woche. Fotos: Fertig
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Das Schicksal des 31-jährigen Daniels ist eines von mehr als 70 Patienten, die in der FIP gepflegt werden. Mit 15 Jahren fiel Daniel ins Wachkoma. In diesem Zustand befindet er sich bis heute..

Barßel - „Mir war oft danach, von der Brücke zu springen“, sagt Christa Gust-van Vlijmen. „Davon abgehalten hat mich nur, dass mein Kind mich braucht.“ Das Kind, das sie meint, ist ihr Sohn Daniel. 31 Jahre ist Daniel alt. Seinen Geburtstag im Oktober hat er in der FIP in Barßel verbracht, der Facheinrichtung für Intensivpflege. So wie bereits die 15 Geburtstage zuvor. Seit dem 11. Juli 2006 lebt Daniel in der FIP. Seine Mutter hat alle Daten präzise im Kopf. Die 65-Jährige schildert, wie es dazu gekommen ist. Im Februar 2006 sei das gewesen. Ihr Sohn war damals 15 Jahre alt.

Daniel war „ein aufgeweckter, aber auch zurückhaltender Junge“, schildert Christa Gust-van Vlijmen. Fröhlich sei er gewesen, sensibel. Die Begeisterung für den FC Bayern teilten Mutter und Sohn. Heute hängt ein Fan-Schal über Daniels Pflegebett.

Daniel wollte Mechatroniker werden

Daniel besuchte die neunte Klasse der Realschule in Brake, wo seine Familie zu Hause war. Christa Gust-van Vlijmen und ihr Mann hatten sich einige Jahre zuvor getrennt. Die beiden älteren Kinder, Sohn und Tochter, die sie mit in die Ehe gebracht hatte, waren schon aus dem Haus. Mutter und Sohn lebten allein miteinander. In der Schule sei Daniel mittelmäßig gewesen, erzählt seine Mutter. „Er hätte mehr können.“

Anderthalb Jahre waren es für Daniel noch bis zum Schulabschluss. Er wollte Mechatroniker werden. Ein Praktikum in einer Autowerkstatt hatte er bereits gemacht. Das hatte ihm gut gefallen. Außerdem war er sportlich. Radfahren, Skaten, auf Inlinern unterwegs sein, Schwimmen, auch in der Weser, das war seins.

Mit Rettungsdienst in die Klinik

Im Februar 2006 kehrte der Teenager von einem verlängerten Wochenende zurück, das er mit einem Kumpel im Harz verbracht hatte. Daniel hatte Fieber. Am nächsten Tag ging seine Mutter mit ihm zum Arzt. Dort wurde ihm ein Antibiotikum verschrieben. Doch auch am Tag darauf fühlte der Junge sich nicht besser. Er hatte keinen Appetit, schlief viel, erinnert sich seine Mutter. Bald kam auch noch Durchfall dazu. Sie habe dauernd in der Arztpraxis angerufen, erzählt Christa Gust-van Vlijmen. Dort reagierte man genervt. Sie solle ruhig bleiben, der Junge nehme das Medikament erst einen Tag lang. Schließlich bekam sie von der Praxis eine Überweisung ins Krankenhaus. Doch sie hätte den Fünfzehnjährigen gar nicht ins Auto bugsieren können. Daniel war zu schwach.

Als sein Vater dazu kam, verständigte er sofort den Rettungsdienst. Die Sanitäter trugen Daniel in einem Tuch in den Krankenwagen, sein Vater fasste mit an. Der Patient wurde mit Sauerstoff versorgt.

Kreislaufzusammenbruch

„Es hat gedauert, es hat gedauert“, erzählt Christa Gust-van Vlijmen, den Kopf in die Hand gestützt. Als nächstes sprach ein Arzt auf der Intensivstation mit dem Elternpaar. Der sagte, ihr Sohn habe einen Kreislaufzusammenbruch. Die nächsten 48 Stunden würden zeigen, ob er es schafft. „Es war wie im Film“, erinnert sich seine Mutter.

Spät am Abend wurde Daniel ins St. Jürgen-Krankenhaus nach Bremen verlegt. Dort erlitt er ein Multi-Organversagen. Was folgte, waren künstliches Koma und Dialyse. „Mindestens 28 Tage lang haben wir geglaubt, dass wir unser Kind wiederkriegen“, sagt Christa Gust-van Vlijmen.

Sauerstoffmangel schädigte das Gehirn

Bis man versuchte, Daniel aus dem künstlichen Koma zu holen, sagte man dem Elternpaar nicht, dass ihr Sohn einen massiven Sauerstoffmangel erlitten hatte, der sein Hirn geschädigt hatte. „Aber dann wurde er ja nicht wach“, erzählt seine Mutter. Ein Gutachten ergab später, dass medizinische Fehler dazu geführt hatten, dass Daniel ein Wachkoma-Patient wurde. Zu spät hatte man erkannt, dass er an einer Lungenentzündung litt, hatte ihn zunächst falsch behandelt.

Sein Vater strengte noch im selben Jahr eine Klage an im Namen beider Eltern. Sie mussten lange kämpfen. Es dauerte Jahre, bis das Verfahren beendet war. 2017 sprach das Gericht Daniel Schmerzensgeld zu. Es ist eine hohe Summe. „Aber das nützt ihm nichts“, sagt seine Mutter verbittert. Von dem Geld hat sie eine zusätzliche Betreuung für ihren Sohn eingestellt. „Ist das nicht hirnrissig – er bezahlt sie selbst“, sagt Christa Gust-van Vlijmen.

In der FIP wurde Daniel wacher

Einen besseren Ort für Daniel als in der FIP, hätten sie allerdings für Daniel nicht finden können, davon ist Christa Gust-van Vlijmen überzeugt. Aus der Klinik sei er damals zunächst in eine Früh-Reha gekommen, damit die Spastiken sich nicht so stark ausprägten. Dort habe er immer stärkere Medikamente bekommen, die ihn zudröhnten, erzählt seine Mutter. Ihr habe das Unbehagen bereitet, sagt sie.

In der Facheinrichtung für Intensivpflege, FIP, in Barßel, hat Daniel wieder selbstständig zu atmen gelernt.
In der Facheinrichtung für Intensivpflege, FIP, in Barßel, hat Daniel wieder selbstständig zu atmen gelernt.

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Heute atmet Daniel wieder selbstständig

Für sie ist ihr Sohn kein typischer Wachkoma-Patient. Das sei damals so gewesen, als er nur so da lag, schildert sie. Heute atmet Daniel selbstständig. Ernährt wird er über eine Magensonde. Durch Lautäußerungen zeigt er, wie es ihm geht. Eine Zeitlang habe der junge Mann auch versucht zu sprechen, ist seine Mutter überzeugt. „Die Zunge hat sehr gearbeitet. Aber es kam kein Wort heraus.“ Die ersten beiden Jahre war Christa Gust-van Vlijmen fast täglich bei ihrem Sohn. Inzwischen kommt sie mindestens einmal pro Woche. Sie ist ihm nahe, liest ihm vor, singt für ihn und erzählt, was es Neues gibt. Dabei geht sie mit Daniel um wie mit dem 15-jährigen, der ihr Sohn vor seinem Unglück war. „Für mich ist er 15, und das wird er auch bleiben“, sagt Christa Gust-van Vlijmen. Was man brauche, um 31 Jahre alt zu sein, sei „ganz viel Leben“. Und nicht: daliegen.

Die Mutter zog von Brake nach Bad Zwischenahn, damit die Fahrt nach Barßel nicht so weit war. Später ging sie zurück nach Brake. Seit 2015 lebt sie wieder in Bad Zwischenahn. Nach Barßel ist sie bewusst nicht gezogen. Zu nahe dran. „Dann wäre mein Leben gelaufen“, erklärt sie, „das hätte Daniel nicht gewollt. Der möchte, dass seine Mama Spaß hat.“

Niemand möchte davon hören

Das ist nicht einfach für Christa Gust-van Vlijmen. Sie sei sehr verzweifelt gewesen darüber, was ihrem Sohn geschehen ist. Der Umgang mit ihm ist einerseits wunderbar für sie, andererseits aber auch erschöpfend. Weitere familiäre Schicksalsschläge kamen hinzu. Immer war da auch die Sorge ums Geld. Und dann die Einsamkeit.

„Niemand möchte davon hören. Auch nicht in der Verwandtschaft“, musste Daniels Mutter feststellen. Totenstille sei die Antwort, wenn sie über Daniel spricht. Der gebe ihr so viel: vorbehaltlose Liebe. Blindes Vertrauen. Bei ihr reagiere er entspannt, was er nicht bei jedem sei. „Ich habe zwei Familien“, sagt Christa Gust-van Vlijmen. Die Familie in der FIP, Schwestern und Pfleger, mit denen sie auch auf emotionaler Ebene umgehe. „Und ich habe mein Leben da draußen. Wo ich geschätzt werde – wenn ich Daniel außen vor lasse.“

Daniel braucht seine Eltern ein Leben lang

Wenn sie von ihrem Jüngsten erzähle, werde sie unterbrochen, oft schon nach dem ersten Satz. Dabei sei Daniel ein wichtiger Teil ihres Lebens, ja eigentlich der wichtigste.

Auch ihr Ex-Mann besucht sein Kind regelmäßig. Daniels Geschwister kommen vielleicht einmal im Jahr in die FIP. Sie sind eingespannt in Beruf und Familie. Doch Christa Gust-van Vlijmen hat sich schon, bevor sie überhaupt Mutter wurde, überlegt: Wenn sie ein Kind in diese Welt setzt, dann habe sie dafür die Verantwortung. So lange, wie das Kind sie braucht. „Und Daniel braucht mich eben immer noch.“

Liebe, die keine Worte braucht

Die 65-Jährige ist überzeugt davon, dass Daniel sie heute nicht anlächeln könnte, wenn sie nicht so regelmäßig bei ihm gewesen wäre. Einrichtungsleiter Volker Bley habe sie darin bestärkt. So sei ihr und ihrem Sohn diese Art der Kommunikation erhalten geblieben.

Antworten auf Fragen wie – ob es nicht besser gewesen wäre für sie beide, wenn Daniel damals gestorben wäre, hätten ihr andere gestellt. Sie als Mutter stelle sich diese Frage nicht, sagt Christa Gust-van Vlijmen. Sie nimmt die Situation an, wie sie ist. „Ich habe durch mein Kind gelernt, dass es Liebe gibt, die keine Worte braucht“, sagt sie. Sie sei dankbar für diese Erfahrung.

Andere Angehörige empfinden anders

Neben Daniel werden noch 71 andere Patientinnen und Patienten in der FIP gepflegt. Andere Angehörige empfinden anders. Dies ist allein die Geschichte von Christa Gust-van Vlijmen und ihrem Sohn Daniel. „Und davon möchte ich nicht eine Sekunde missen“, beteuert die Mutter unter Tränen.: https://www.paypal.com/donate?hosted_button_id=38XPGLGFYG8MC

Dafür wird gesammelt

Der General-Anzeiger widmet seine Weihnachtsaktion in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Stiftung der Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO) „Ein Herz für Ostfriesland“ in diesem Jahr der Arbeit in der Facheinrichtung für Intensivpflege, FIP, in Barßel. Mit Hilfe von Spenden soll für die Wachkoma-Patienten eine Rollstuhl-Rikscha angeschafft werden. Die funktioniert ähnlich wie ein Lastenfahrrad: Vorn kann der Rollstuhl mit dem sitzenden Passagier hineingestellt werden. Ein solches Spezialfahrrad würde den Bewegungsradius der FIP-Patienten und ihrer Familien entscheidend vergrößern. Sie könnten miteinander Ausfahrten unternehmen – etwa auf dem Deichwanderweg der nahegelegenen Soeste.

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