GA-Weihnachtsaktion

FIP-Pflegekräfte suchen Brücken zum Bewusstsein

| | 01.12.2021 11:33 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 7 Minuten
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Wilko Kramer aus Detern und Anika Roßmüller aus Remels arbeiten als Pflegekräfte in der Facheinrichtung für Intensivpflege in Barßel. Beide schildern ihre Tätigkeit dort als sehr erfüllend. Foto: Fertig
Wilko Kramer aus Detern und Anika Roßmüller aus Remels arbeiten als Pflegekräfte in der Facheinrichtung für Intensivpflege in Barßel. Beide schildern ihre Tätigkeit dort als sehr erfüllend. Foto: Fertig
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Die Arbeit von Pflegekräften in der Barßeler Facheinrichtung für Intensivpflege ist weder traurig, noch frustrierend. Und so ruhig, wie Außenstehende meinen, ist es auf den Stationen auch nicht.

Barßel - Wer beruflich in die Pflege geht, möchte Menschen helfen. Pflegekräfte arbeiten mit Kindern, mit Senioren oder im Krankenhaus. Anika Roßmüller und Wilko Kramer sind in der Facheinrichtung für Intensivpflege, der FIP in Barßel, tätig.

Dafür wird gesammelt

Der General-Anzeiger widmet seine Weihnachtsaktion in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Stiftung der Zeitungsgruppe Ostfriesland (ZGO) „Ein Herz für Ostfriesland“ in diesem Jahr der Arbeit in der Facheinrichtung für Intensivpflege, FIP, in Barßel. Mit Hilfe von Spenden soll für die Wachkoma-Patienten eine Rollstuhl-Rikscha angeschafft werden. Die funktioniert ähnlich wie ein Lastenfahrrad: Vorn kann der Rollstuhl mit dem sitzenden Passagier hineingestellt werden. Ein solches Spezialfahrrad würde den Bewegungsradius der FIP-Patienten und ihrer Familien entscheidend vergrößern. Sie könnten miteinander Ausfahrten unternehmen – etwa auf dem Deichwanderweg der nahegelegenen Soeste.

Beide arbeiten seit zehn Jahren in der Einrichtung für Schwerstpflegefälle und Dauerbeatmete am Mühlenweg. Beide empfinden ihre Arbeit als erfüllend. Die 30-jährige gelernte Altenpflegefachkraft Anika Roßmüller wohnt in Remels im Kreis Leer. Bevor sie zur FIP kam, war sie in der Gerontopsychiatrie eines Altersheimes in Hesel tätig. Ihr 32-jähriger Kollege Kramer, der mit seiner Familie in Detern lebt, hat früher im Klinikum in Oldenburg gearbeitet.

Arbeit weder traurig, noch frustrierend

Warum entscheiden sich Pflegekräfte für einen Arbeitsplatz mit Patienten im Wachkoma? Dafür, sich um Menschen zu kümmern, die gefangen sind im eigenen Körper, die nicht reagieren können? Ist das nicht frustrierend? Dem muss Anika Roßmüller vehement widersprechen. Was sie beruflich leistet, sei weder frustrierend, noch traurig, stellt die junge Frau freundlich, aber mit Nachdruck klar. Ihr Kollege Kramer nickt dazu bestätigend. „Wir geben den Leuten viel – und die Patienten geben uns auch viel wieder“, schildert Roßmüller. Natürlich werde man mit vielen Schicksalsschlägen konfrontiert. Das gehe ihnen nahe, aber „wir versuchen, das Beste daraus zu machen und unseren Bewohnern den Lebensabschnitt hier so schön wie möglich zu gestalten“.

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Es sei auch nicht so, dass die Patienten überhaupt nicht reagieren, erläutert Roßmüller. In der FIP sei es zwar viel ruhiger als in der Altenpflegeeinrichtung, in der sie ausgebildet wurde. Dafür sei der Umgang zwischen Pflegenden und Bewohnern intensiver. Man lerne seine Patienten ganz anders kennen, werde sensibilisiert für deren Mimik, Gestik, Körperhaltung und spüre, was ihnen guttut. „Wenn man länger hier arbeitet, merkt man außerdem, dass es hier gar nicht so ruhig ist“, schildert die junge Frau. Von der Lautstärke her vielleicht. Aber es sei „immer was los“. In irgendeiner Weise passiere täglich etwas bei jedem Patienten. Die Mehrzahl der FIP-Bewohner wird über eine Magensonde ernährt. Wer oral Nahrung zu sich nehmen kann, bekommt von den Pflegekräften Frühstück angereicht. Gemeinsam mit den Therapeuten wird jeder Patient mobilisiert, sitzt im Rollstuhl, liegt im Wasserbett oder nutzt das Stehbrett.

Tägliches Bemühen um Verbesserung

Die Pflegekräfte arbeiten täglich daran, dass sich an der Situation jedes Einzelnen etwas verbessert, dass die Betroffenen „selbstwirksam tätig werden“, wie Wilko Kramer es nennt, also etwa eigenständig ihre Hände einsetzen beim täglichen Waschen. Manche können aktiv mit den Pflegenden in Kontakt treten, etwa indem sie per Augenkommunikation einen Sprachcomputer steuern. „Hier herrscht das Prinzip Hoffnung“ , schildert Kramer, „sonst würden wir nicht das machen, was wir hier tun.“ Wesentlich für die Arbeit ist der Austausch untereinander. Jeweils zwei Kräfte sind für zwölf Patienten zuständig. Die Stationen wechseln regelmäßig, damit die Pflegenden immer wieder einen neuen Blickwinkel aufs Geschehen haben. Die Stationen sind bunt zusammengestellt. Jedes Krankheitsbild kann auf jeder Station vorkommen. So können die Pflegekräfte einander gut vertreten.

Rolf Kornblum, stellvertretender Leiter der FIP, erläutert das Konzept des Hauses. „Hier wird gelebt, und nicht nur gearbeitet“, sagt er. In der Facheinrichtung für Intensivpflege verbrächten Menschen einen Teil ihres Lebens, Patienten genauso wie Pflegekräfte und Therapeuten. Schmerz und Freude gehöre dazu, man versuche, Probleme zu lösen und erlebe Schönes zusammen. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Anders als Mediziner, deren Diagnose den Begriff „Bewusstsein“ enger definiere, gelte für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der FIP: Egal, in welchem Zustand sich ein Bewohner befindet – jeder habe ein Bewusstsein. „Und dazu suchen unsere Pflegekräfte eine Brücke. Jeden Tag“, schildert Kornblum. Diese Herangehensweise wirke sich aus auf die Motivation.

Ruhe der Pflegekräfte überträgt sich

„So wie hier habe ich noch in keiner anderen Einrichtung gepflegt“, sagt Anika Roßmüller. Sie möchte, ebenso wie ihr Kollege Kramer, am Patienten arbeiten, nicht über dessen Kopf hinweg. Und das kann sie in der FIP. Sich auf den Patienten einlassen, Zeit für ihn haben. Ein Stück Alltag herstellen. Die Ruhe, die die Pflegenden ausstrahlen, überträgt sich auf diejenigen, für die sie da sind. In der Einrichtung wird ausgebildet. Acht Azubi sind viele für ein Haus dieser Größe. Selten brächen junge Leute ihre Ausbildung in der FIP ab. Kramer schreibt das dem Konzept der Einrichtung zu. Die Pflegekräfte arbeiten am Menschen. Sie seien eben nicht zuständig für das Lager, die Apotheke oder die Verwaltung.

Eine Prognose, wie sich jemand entwickelt, könne man nie stellen, sagt Rolf Kornblum. Wenn es auch nicht bei jedem klappe, dass sich an seinem Zustand etwas verbessert, geschehe es aber doch bei vielen. „Manchmal ergibt sich ein Potenzial, mit dem man gar nicht gerechnet hätte“, berichtet Pfleger Wilko Kramer. Es gab schon Bewohner, die lernten, wieder selbstständig zu atmen. Die Trachealkanüle konnte entfernt werden, die Patienten kamen wieder nach Hause. „Da klopfen wir uns dann schon auf die Schulter“, sagt er. Und dass er einen Wachkomapatienten erlebt hat, der heute wieder spricht. Anika Roßmüller schildert, wie sich der Patient Wolfgang in der FIP entwickelte. Der Mann war Mitte 50. Er war von der Treppe gefallen, verwirrt und von den Brustwirbeln an gelähmt. Doch schon in der ersten Nachtschicht merkte die Pflegerin, dass in Wolfgangs Beinen mehr Bewegung war als nach dem Krankenbericht möglich schien. Schließlich verließ er die FIP auf seinen eigenen Beinen. Die Entwicklung bis dahin dauerte etwa ein Jahr und war von Höhen und Tiefen geprägt. Hätten die Pflegekräfte den Mann nicht immer wieder ermuntert, aufgebaut und mit ihm geübt, wäre er vielleicht nie so weit gekommen. „So etwas bleibt im Kopf“, sagt die Pflegerin.

Angehörige wichtig für Biografiearbeit

„In der Regel entlassen wir mehr Patienten als hier sterben“, bestätigt Kornblum. Doch auch der Tod gehöre dazu, sei kein Tabu. „Hier stirbt niemand alleine“, versichert Roßmüller. Ihre Kollegen und sie sorgen für Begleitung in guter Atmosphäre, ohne dass die anderen Patienten die Hoffnung verlieren.

Auch der Kontakt zu den Angehörigen mache einen wichtigen Teil der Arbeit aus. Von den Familien erfahren die Pflegekräfte etwas über deren Biografien. Was sie für Menschen waren, was sie beschäftigt hat, ihnen Freude bereitete. „Und wenn es nur ist, dass jemand keinen Joghurt mag“, sagt Roßmüller. „Und wir auf einmal verstehen, dass der Patient deshalb nicht mitmacht, wenn wir ihm einen Löffel davon anreichen.“ Wilko Kramer berichtet, wie er einmal am Vatertag vorsichtig einem Patienten ein alkohohlfreies Bier gab. Es habe seine Zeit gedauert, aber es sei gegangen, und das habe ihn echt gefreut, sagt er. „Vatertag gibt’s ein Bier.“ Ein positives Stück Alltag. Für den Patienten und für seinen Pfleger.

Um die ambitionierte Arbeit der Verantwortlichen in der FIP und deren Förderverein zu unterstützen, widmet ihnen der General-Anzeiger in Rhauderfehn in diesem Jahr seine Weihnachtsaktion in Zusammenarbeit mit der gemeinnützigen Stiftung der Zeitungsgruppe Ostfriesland, ZGO, „Ein Herz für Ostfriesland“. In den kommenden Wochen stellt die Redaktion viele Aspekte der Arbeit in der FIP vor – und sie hofft, dass viele Spenden zusammenkommen. Wer über PayPal spenden möchte, kann dazu am besten auf die Homepage einherzfuerostfriesland.de gehen. Dort gibt es direkte Buttons zu den PayPal-Spenden-Konten.https://www.paypal.com/donate?hosted_button_id=38XPGLGFYG8MC