Kultur in Rhauderfehn Unvergessenes künstlerisch bewahren

Elke Wieking
|
Von Elke Wieking
| 23.08.2023 12:33 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
Artikel hören:
Von dem Holocaust-Überlebenden Albrecht Weinberg über Auschwitz zu Schülern des Gymnasiums Rhauderfehn hat Sylvia Laing den Bogen in ihrer Fotocollage für die Ausstellung "(un)vergessen" geschlagen. Privatfoto: Laing
Von dem Holocaust-Überlebenden Albrecht Weinberg über Auschwitz zu Schülern des Gymnasiums Rhauderfehn hat Sylvia Laing den Bogen in ihrer Fotocollage für die Ausstellung "(un)vergessen" geschlagen. Privatfoto: Laing
Artikel teilen:

Die Fotogruppe des Kulturrings und Kunstkreises Rhauderfehn lädt für Sonntag, 3. September, zu einer Fotoausstellung ein. Sylvia Laing hat sich zum Beispiel mit dem Holocaust auseinandergesetzt.

Rhauderfehn - Albrecht Weinberg sitzt in einem dunklen Raum auf einem Stuhl. Der 98-Jährige hält ein Schild vor sich. „May we never suffer again“ steht darauf: „Mögen wir nie wieder leiden müssen.“ Der Satz bedeutet Rück- und Ausblick. Albrecht Weinberg wurde am 7. März 1925 in Rhauderfehn geboren. Als Jude mussten er und seine Familie den Holocaust durchleben. Nur er und seine beiden Geschwister überlebten das Massensterben, die Folter, den Hunger, die Herabwürdigung vom Menschen zu einer namenlosen Nummer während der Nazizeit (1933 bis 1945).

Das Foto mit Albrecht Weinberg, einem der letzten Überlebenden der Konzentrationslager Auschwitz und Bergen-Belsen, hat Sylvia Laing zu einer Collage mit einem Bild vom Eingang ins Konzentrationslager Auschwitz in Polen und einem weiteren mit Schülern des Albrecht-Weinberg-Gymnasiums in Rhauderfehn zusammengestellt. Über alle drei Bilder hat die Rhauderfehnerin Schriftzüge gelegt wie „Arbeit macht frei“, den zynischen Satz, der über dem Eingang des KZ Auschwitz steht, die Namen und Zahlen von den Stelen, die an die ermordeten jüdischen Mitmenschen in Leer erinnern, aber auch das Wort „Offenheit“, das die Gymnasiasten einkreist. Und wie ein Schatten ist auch Liesel Aussen aus Leer zu sehen, die im Alter von sieben Jahren im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde.

Fünf Mitglieder der siebenköpfigen Fotogruppe des Kulturrings und Kunstkreises Rhauderfehn kündigen die Ausstellung an, die am 3. September, eröffnet wird. Foto: privat
Fünf Mitglieder der siebenköpfigen Fotogruppe des Kulturrings und Kunstkreises Rhauderfehn kündigen die Ausstellung an, die am 3. September, eröffnet wird. Foto: privat

„(un)vergessen“ heißt die Ausstellung

Sylvia Laing wird die Fotocollage, die sie im Orginal auf eine 2,86 mal 1,20 Meter große Leinwand gezogen hat, ab Sonntag, 3. September, im Müllerhaus in Rhauderfehn in der Ausstellung „(un)vergessen“ vier Wochen lang präsentieren.

Vier Wochen lang werden außerdem sieben weitere Mitglieder des Kulturrings und Kunstkreises Rhauderfehn ihre Werke zu dem Thema gezeigt. Der Niederländer Ryan Adberg (Jahrgang 1937) erinnert sich daran, was andere Armut nennen: „Was haben wir genossen von dem Wenigen, was wir ab und zu mal hatten.“ Ulla Berg erinnert unter anderem an die ehemals modernste und schönste Zeche der Welt, das heutige Industriedenkmal und Weltkulturerbe Zeche Zollhaus in Essen, und an ihre Kindheit im Ruhrpott. Peter Bösken liegt an der analogen Schwarzweiß-Fotografie, Jörg Furch hat seinen Arbeiten den Titel „Unvergessen – Mein Opa, die „Photografie“ und ich“ gegeben. Hedi Glock beschäftigt sich unter anderem mit dem Berliner Verlag Frölich & Kaufmann, Ernst-Otto Sommerer, der über die Vorbereitungen zu der Ausstellung verstarb, gab ihr den Namen, und Bertold Ukena erinnert sich fotografisch an die 1960er Jahre in Ostfriesland. All das wird wesentlich ausführlicher in einer Broschüre, die es gibt, beschrieben.

Fünf Mitglieder der siebenköpfigen Fotogruppe des Kulturrings und Kunstkreises Rhauderfehn kündigen die Ausstellung an, die am 3. September, eröffnet wird. Foto: privat
Fünf Mitglieder der siebenköpfigen Fotogruppe des Kulturrings und Kunstkreises Rhauderfehn kündigen die Ausstellung an, die am 3. September, eröffnet wird. Foto: privat

Auslöser war „Die Welle“

Zurück zu Sylvia Laing. Die 55-Jährige hat sich nach eigenen Angaben mit dem Holocaust seit ihrer Schulzeit intensiv auseinander gesetzt. Initialzündung sei das Buch „Die Welle“ gewesen.

Das habe ihre Klasse auf dem Ubbo-Emmius-Gymnasium in Leer durchgenommen, erinnert sich die Bautechnikerin. In Morton Rhues Buch macht der Highschool-Lehrer Ben Ross ein Experiment, um seinen Schülern zu beweisen, dass faschistoides Denken und Handeln jederzeit wieder verbreitet, von den Massen aufgesogen und gelebt werden kann. Das Experiment, das es in den 1960er Jahren tatsächlich gegeben hatte, geht schief.

„Das macht mir Angst“

„Seitdem weiß ich, dass der Holocaust jederzeit wieder passieren kann“, sagt Laing. Jeder könne instrumentalisiert werden für faschistoide Weltanschauungen und Verschwörungstheorien. Die Coronazeit habe gezeigt, wie schnell das passieren könne „und das macht mir Angst“. Die Umstände von heute seien ähnlich, meint Sylvia Laing. „Ich behaupte, dass es sich auch heute genauso oder ähnlich wiederholen könnte.“ Und Sätzen wie „Man muss die Vergangenen doch mal ruhen lassen“, setzt sie ein „Warum?“ entgegen. Denn: „Ich bin überzeugt davon, dass man an den Holocaust erinnern muss, um ein Bewusstsein dafür aufrecht zu erhalten, zu was Menschen fähig sind.“

Deshalb ist die 55-Jährige, die seit 2001 im Malen und Fotografieren einen Ausgleich zu ihrem technischen Beruf sucht, im Mai nach Auschwitz gefahren, um dort selbst Fotos zu machen. Sie hofft, dass auch Albrecht Weinberg zur Ausstellungseröffnung nach Rhauderfehn kommt.

Fotos sind sonntags zu sehen

Die Ausstellung wird in der Kunstkreisgalerie im Müllerhaus neben der Hahnentanger Mühle an der 1. Südwieke in Rhauderfehn am Sonntag, 3. September, um 14 Uhr eröffnet. Zu sehen sind die Werke danach bis zum 24. September jeden Sonntag zwischen 14 und 17 Uhr. Auch an diesen Tagen ist immer ein Künstler oder eine Künstlerin da, um durch die Ausstellung zu führen.

Ähnliche Artikel