Mein Lieblingsartikel 2023 Er hört die Schüsse und fackelt nicht lange

Stephanie Schuurman
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Von Stephanie Schuurman
| 27.12.2023 17:03 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Eiscafé-Inhaber Angelo Sossai demonstriert, wie er den Tatverdächtigen vor dem Tresen seines Lokals mit beiden Armen packte und festhielt. Foto: Schuurman
Eiscafé-Inhaber Angelo Sossai demonstriert, wie er den Tatverdächtigen vor dem Tresen seines Lokals mit beiden Armen packte und festhielt. Foto: Schuurman
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Der Italiener Angelo Sossai überwältigte am Sonntag den Messer-Randalierer in Emden. So ist der Stand der Ermittlungen.

Dieser Artikel ist mir besonders in Erinnerung geblieben, weil mein ehemaliger Nachbar so todesmutig reagiert hat. Angelo Sossai schützte seine Ehefrau und die Angestellten seiner Eisdiele und überwältigte den unerwünschten Gast mit dem Messer. Dieser Artikel ist erstmals erschienen am 4. September 2023.

Emden - Einen Tag nach dem spektakulären Zwischenfall in der Emder Innenstadt, bei dem die Polizei einen mit einem Messer bewaffneten Mann erst nach zwei Warnschüssen überwältigte und festnahm, sind die Hintergründe noch weitgehend unklar. Laut einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft Aurich und der Polizeiinspektion Leer/Emden handelt sich bei dem Tatverdächtigen um einen 29-Jährigen, der derzeit keinen festen Wohnort hat. Er sei zur psychiatrischen Untersuchung in ein Krankenhaus gebracht worden. Laut einem Medienbericht soll der Mann mittlerweile wieder auf freiem Fuß sein. Eine Bestätigung dafür gab es am Montagabend nicht mehr.

Die Polizei war um 16.45 Uhr in die Fußgängerzone Zwischen Beiden Märkten alarmiert worden. Anrufer teilten den Beamten mit, dass ein Mann sich mit einem Messer vor dem Lokal La Vie - Le Petit aufhalte, sehr aggressiv wirke und über die Möbel im Außenbereich der Gaststätte klettere. Die Einsatzkräfte stellten vor Ort fest, dass der 29-Jährige laute Selbstgespräche führte, unkontrolliert gestikulierte und gegen ein Fahrrad trat. Zudem hantierte er mit einem Messer. Am Sonntag hieß es seitens der Polizei, der Mann komme aus dem „Bereich Oldenburg“.

Mann wehrt Reizgas mit Jacke ab

Der lauten Aufforderung der Beamten, das Messer umgehend abzulegen, sei der Mann nicht nachgekommen. Stattdessen habe er sich weiter auf die Polizisten zubewegt, heißt es in der Mitteilung weiter. Die Polizisten setzten daraufhin ein sogenanntes Reizstoffsprühgerät ein, dessen Inhalt der Angreifer mit Hilfe seiner Jacke abwehrte. Der Mann sei dann mit vorgehaltenem Messer auf einen der vier Polizisten zugegangen. Der Beamte habe diesen Angriff vereitelt, indem er dem Mann ausgewichen sei, heißt es. Der Tatverdächtige sei dabei über zwei Tische des gegenüberliegenden Restaurants Aurora gestürzt und habe danach seinen Weg mit dem Messer fortsetzen wollen.

Nach den beiden Warnschüssen des Polizeibeamten in die Luft habe der Täter schließlich abgebrochen und sei in das nahegelegene Eiscafé Venezia gerannt. Dort habe er mit Unterstützung des Inhabers überwältigt und festgenommen werden können.

Eiscafé-Besitzer fackelt nicht lange

In dem Eiscafé Venezia hat sich die Aufregung auch am Tag danach noch nicht ganz gelegt. Kein Wunder: War es doch Angelo Sossai, der den flüchtenden Messer-Randalierer packte und damit die Festnahme möglich machte. „Ich habe keine Millisekunde nachgedacht, wollte nur meine Frau und meine Mitarbeiterinnen schützen“, sagt der Eisdielenbesitzer dieser Zeitung.

Nach den Schilderungen Sossais versperrte die nach außen offenstehende Glastür der Eisdiele den weiteren Fluchtweg des 29-Jährigen in Richtung Stadtgarten, so dass der Mann direkt in das Café rannte. Sossai, der neben der Tür stand, stürmte ihm sofort hinterher, packte den Mann am Ende des Tresens mit beiden Armen und hielt ihn fest. Die Polizisten seien zunächst draußen auf Abstand geblieben. „Erst dann kamen die Polizisten herein und warfen den jungen Mann auf den Boden“, sagt Sossai.

Im Eiscafé flossen Tränen

Dort auf dem Boden lag auch plötzlich das Messer, das dem Angreifer aus der Hand oder der Tasche gefallen sein muss. „Ich wusste ja nichts von einem Messer“, sagt Sossai auch vor dem Hintergrund, dass ihm manche schon Leichtsinn vorgeworfen haben. Nur die Schüsse hätten ihn in große Sorge versetzt, weil er zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, wer sie abgesetzt hatte: „Aber ich musste doch handeln!“

Während des Geschehens waren eine Mitarbeiterin und seine Frau Onorina in den rückwärtigen Vorbereitungsraum geflüchtet, auch ein junges Mädchen, Gast der Eisdiele, das gerade von der Toilette kam, wurde von Onorina Sossai über den Hinterausgang in Sicherheit gebracht. Tränen seien geflossen, so Angelo Sossai. Eine weitere Mitarbeiterin, selbst kriegstraumatisiert, sei nach dem Vorfall nun erst einmal krankgeschrieben.

Es passiert ausgerechnet am Hochzeitstag

Alle Tische im Außenbereich seien während des Geschehens voll besetzt gewesen, die Gäste zunächst panikartig aufgesprungen und weggelaufen. Alle seien aber anschließend zurückgekehrt und hätten ihre Zeche bezahlt. „Es gab sogar viel Trinkgeld für uns“, sagte Sossai.

Dieser freundliche Zuspruch kam den Sossais, die die Eisdiele seit Jahrzehnten führen, wiederum gerade recht. Feierten sie an diesem Sonntag doch ausgerechnet Rubinhochzeit. Angelo Sossai: „Unseren 40. Hochzeitstag werden wir nicht vergessen.“

Videoaufnahmen von dem Polizeieinsatz hatten am Sonntag die Runde über Soziale Netzwerke und Whatsapp gemacht. Zu weiteren Details des Einsatzes und zum Täter gibt die Polizei aktuell keine weiteren Informationen heraus. Man wolle sich zunächst weiter mit der Staatsanwaltschaft abstimmen, hieß es gegenüber dieser Zeitung.

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