Nowosibirsk (dpa)
Netrebko kritisiert Putins Krieg - kein Auftritt in Russland
Die russische Sopranistin Anna Netrebko ist mit reihenweise Konzertabsagen konfrontiert. Erst wandten sich die großen Bühnen im Westen ab von ihr. Nun bekommt sie auch in ihrer Heimat Ärger.
Die Sopranistin Anna Netrebko ist nach ihrer Erklärung gegen den Angriff von Wladimir Putin auf die Ukraine nun auch an einer Oper in ihrer russischen Heimat in Ungnade gefallen.
Ein für den 2. Juni angesetztes Konzert in Nowosibirsk falle aus, teilte die Oper in der sibirischen Metropole mit. Grund sei eine Mitteilung der Künstlerin, in der sie die Handlungen „unseres Staates“ verurteile. „Das Leben in Europa und die Möglichkeit, auf europäischen Bühnen aufzutreten, sind für sie wichtiger als das Schicksal der Heimat“, hieß es in der Mitteilung des Staatlichen Akademischen Theaters für Oper und Ballett.
Wer in Russland Putins Krieg gegen die Ukraine kritisiert, lebt gefährlich und kann mit hohen Geldbußen oder sogar mit Gefängnis bestraft werden. Netrebko, die vor allem in Österreich lebt und in Russland auch am weltberühmten Bolschoi Theater und am Mariinski in St. Petersburg auftritt, dürfte es nach ihrer Kritik schwer haben mit Engagements in der Heimat. Viele prominente Kulturschaffende haben aus Angst um ihre Sicherheit Russland verlassen. Putin hatte erklärt, jetzt sei die Zeit, Verräter ausfindig zu machen und das Land davon zu säubern.
Geburtstagsfeier im Kreml
Dabei schwärmte der Präsident noch im September, als Netrebko ihren 50. Geburtstag im Kreml feiern durfte, von Netrebkos weltweit bewunderter Gesangskunst. Er würdigte Netrebko, die ihn schon bei der Präsidentenwahl unterstützte, als „offenen, bezaubernden und gutherzigen Menschen mit einem lebensbejahenden Charakter und einer klaren Position als Bürgerin“. Russland sei stolz auf Netrebko, die als das freundliche Gesicht des Landes in der Welt galt. Doch damit ist es wohl nun vorbei.
Das Theater in Nowosibirsk habe sich entschieden, den Organisatoren des Konzerts seine Bühne, den Saal und das Orchester nicht zur Verfügung zu stellen. „Wir sind überzeugt, die Wahrheit ist auf unserer Seite. Uns sollte es keine Angst machen, dass es Kulturschaffende gibt, die sich von ihrer Heimat abwenden. Unser Land ist reich an Talenten, und an die Stelle der Stars von gestern kommen andere mit einer klaren Haltung als Bürger.“
Netrebko hatte sich nach dem Beginn des Krieges am 24. Februar zunächst zögerlich gezeigt, dann aber gegen den Krieg ausgesprochen. Das galt als bemerkenswert, weil allein das Wort in Russland verpönt ist. Kremlchef Putin nennt die beispiellose und extrem blutige Invasion eine „militärische Spezial-Operation“. Am Mittwoch hatte Netrebko sich nach der Absage von Auftritten durch westliche Häuser deutlicher von Putin distanziert. „Meine Position ist klar. Ich bin weder Mitglied einer politischen Partei noch bin ich mit irgendeinem Führer Russlands verbunden“, hatte sie über ihren deutschen Anwalt mitgeteilt.
Auftritte Ende Mai in Europa?
In ihrem Instagram-Kanal veröffentlicht die Star-Sopranistin in farbenprächtigen Outfits aktuell Bilder von ihrer Auszeit und ihren Reisen. „Ich liebe mein Heimatland Russland und strebe durch meine Kunst ausschließlich Frieden und Einigkeit an“, ließ sie über ihren Anwalt auch mitteilen. Nach einer angekündigten Auftrittspause wolle sie Ende Mai Opern- und Konzertauftritte zunächst in Europa wieder aufnehmen.
Der Präsident des Deutschen Bühnenvereins, der Hamburger Kultursenator Carsten Brosda (SPD), hält ihre Distanzierung von Putin allerdings für nicht glaubwürdig. Erst lasse sie sich mit dem ostukrainischen Separatistenführer Oleg Zarjow samt „Neurusslandfahne“ fotografieren, dann feiere sie ihren 50. Geburtstag im Kreml. „Das machen und dann jetzt über den Anwalt behaupten lassen, man sei nicht politisch? Da verkauft man das eigene Publikum für dumm“, sagte Brosda in einem Interview des „Hamburger Abendblatts“. Entsprechend sehe er den für September geplanten Nachholtermin für ein Netrebko-Konzert in der Hamburger Elbphilharmonie kritisch.
„Ich glaube nicht, dass es gut wäre, wenn dieses Konzert dann stattfindet.“ Nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine hatten mehrere Konzerthäuser Auftritte von Netrebko abgesagt, darunter auch die Elbphilharmonie ein für Anfang März geplantes Konzert. Brosda sagte, „da, wo Künstler oder Künstlerinnen eine Nähe zum System Putin haben oder durch diese Nähe Privilegien genossen haben und nicht in der Lage sind, sich vernünftig dazu zu verhalten, besteht keine Grundlage für weitere Zusammenarbeit“. Das betreffe auch Netrebko.
Andere Töne kamen aus Frankfurt. „Anna Netrebko hat sich deutlich gegen den Krieg in der Ukraine positioniert und sich insofern richtig verhalten“, teilte der Veranstalter von Rhein Main Concerts mit. Ein für den Juni geplantes Konzert mit Netrebko an der Alten Oper wurde zwar verschoben - allerdings „aus Respekt vor der augenblicklichen Situation“. „Wir freuen uns sehr, einen neuen Termin ankündigen zu können“, schrieb der Veranstalter. Es soll nun im Januar 2023 stattfinden.
Die Berliner Staatsoper Unter den Linden wiederum will zunächst direkte Gespräche mit der Sängerin abwarten. „Im Moment ist es so, dass sie von sich aus darauf verzichtet hat, die "Turandot" in dieser Phase bei uns zu machen, darüber haben wir uns gemeinsam mit ihr geeinigt“, sagte Intendant Matthias Schulz am Donnerstag nach Angaben der Staatsoper. „Über zukünftige Projekte kann ich mich noch nicht äußern, grundsätzlich haben wir gesagt, dass russische Künstler natürlich weiter bei uns auftreten“, sagte Schulz. „Mir wäre es wichtig, mit Anna Netrebko erst einmal direkt zu sprechen, das möchte ich gern abwarten.“
© dpa-infocom, dpa:220401-99-761293/3