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„Manchmal ist es, als wäre es gestern gewesen“

Elke Wieking
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Von Elke Wieking
| 04.12.2020 19:10 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Heinz und Christina Vinkes Baby starb innerhalb von 24 Stunden. Ein Schock, der sie lange lähmte. Bis sie sich Hilfe holten. Heute wollen die Papenburger ihre Erfahrungen weiter geben.

Papenburg - Ein Jahr und zwei Wochen war Heinz und Christina Vinkes Tochter alt, als sie 1987 starb. Innerhalb von 24 Stunden. An Meningitis (Hirnhautentzündung). Für die Eltern war es ein Schock, der bis heute nachhallt. „Manchmal ist es, als wäre es gestern gewesen“, sagt der 69-jährige, ehemalige Leiter der Berufsschule Technik und Wirtschaft. „Aber man lernt, es zu akzeptieren und damit zu leben“, sagt seine Frau. Sie war bis zur ihrer Pensionierung in der Leitung der Oberschule in Rhede tätig. Nur, wie lernt man diese Akzeptanz?

Das hatte sich das Paar vor 33 Jahren auch gefragt. Lange waren beide so erfüllt von Trauer, dass es ihnen schwer fiel, den Alltag zu bewältigen. „Aber man kann ja nicht vor einer Schulklasse stehen und sagen ,Ich kann nicht mehr. Ich bin so traurig‘ und nach Hause gehen“, sagt Heinz Vinke. Außerdem gab es noch den damals zehnjährigen Martin, der, das gibt sein Vater offen zu, damals „viel zu kurz gekommen ist“. Heinz Vinke erinnert sich, dass er in seiner Hilflosigkeit einen Tischkicker kaufte und stundenlang mit seinem Sohn spielte.

Verwaiste Eltern

Vor 30 Jahren sei Trauerarbeit kaum ein Thema gewesen, weiß Christina Vinke. Nach einigem Suchen fand die heute 67-Jährige eine Trauergruppe in Oldenburg. Doch weil Vinkes im Winter abends nicht immer den Weg von Papenburg nach Oldenburg fahren wollten, beschloss Christina Vinke, selbst eine Gruppe verwaister Eltern in Papenburg zu gründen.

14 Männer und Frauen kamen – und die ehemalige Lehrerin erschrak zutiefst. Nicht darüber, dass die Resonanz in der emsländischen Kleinstadt so groß war, sondern darüber, dass manche Paare ihr Kind bereits vor 15 Jahren oder noch früher verloren hatten. „Erholt man sich denn niemals davon? Überwindet man das nie?“, habe sie sich damals gefragt, erinnert sich Christina Vinke. Heute, nach vielen Jahren der Aus- und Fortbildung, weiß Christina Vinke: Man kann lernen, damit zu leben.

Jeder trauert anders

Dazu gehöre auch, dass jeder anders trauere, sagt Christina Vinke. „Das ist eine große Herausforderung.“ An der viele Paare scheitern, fügt ihr Mann hinzu. Sie haben sich nicht getrennt und gelernt, dass jeder unterschiedlich trauert und Raum braucht, es auch zu dürfen. „Man darf vom anderen nicht verlangen, dass er so trauert, wie man selbst. Der eine geht zum Friedhof, und der andere kann es nicht“, nennt Christina Vinke ein Beispiel.

Fünf Jahre lang leitete sie die Gruppe Verwaiste Eltern und ist im Nachhinein noch immer erstaunt, wie groß das Interesse war. „Als ich einmal in Weener unsere Arbeit vorgestellt habe, kamen mehr als 100 Leute.“

Heinz und Christina Vinke sind nun seit Jahren im Ruhestand. Sie reisen gern, kümmern sich um ihr Haus und ihren Garten. Warum tun sie sich das an, viele Stunden ehrenamtlich für das ambulante Kinderhospiz „helpful“ zu arbeiten? Weil es sie gereizt habe, „helpful“ von Anfang an mit aufzubauen, sagen beide. Der schlanke, hochgewachsene Mann mit dem weißen dichten Haar und seine zierliche Frau mit dem dunkelgrauen Pagenkopf sind es ja gewohnt, sich tief in Themen einzuarbeiten und als ehemalige Lehrer anderen Inhalte unaufgeregt und schlüssig zu vermitteln.

Bloß keine Laien schicken

Es gibt für die Ausbildung als Kinderhospizbegleiter Unterrichtsmaterial.
Es gibt für die Ausbildung als Kinderhospizbegleiter Unterrichtsmaterial.
Deshalb machten sie eine Ausbildung als Hospizbegleiter und halfen eineinhalb Jahre lang mit, die Büro- und Seminarräume zu renovieren. Und weil sie nicht mehr arbeiten, nahmen sie auch Kontakt zum Kinderhospiz Löwenherz in Syke bei Bremen auf. Dort wollten sie wissen, wie sie ihr Projekt angehen sollen. Fünf Jahre werde es dauern, bis die Mitglieder die ersten Familien und Kinder begleiten könnten, hieß es. Denn: Bloß keine Laien schicken, nur ausgebildete Leute. Wegen Corona zog sich die Ausbildung von zehn Männern und Frauen zu Trauer- und Hospizbegleitern über zweieinhalb Jahre bis zum Oktober dieses Jahres hin. Aber jetzt ist „helpful“ startklar. Jedenfalls, sobald die Pandemie es zulässt.
Der Verein „helpful“ hat in Papenburg am Vosseberg ein Büro.
Der Verein „helpful“ hat in Papenburg am Vosseberg ein Büro.

Immer noch nicht verarbeitet?

Vinkes haben die Jahre auch genutzt, „helpful“ bekannt zu machen. Sie setzten sich mit Ärzten in Verbindung, sammelten Spenden und stellten regelmäßig das Büro am Vosseberg und die Arbeit ihres Vereins vor. Jedenfalls bis zum Lockdown.

Als sie anfing, sich für das ambulante Kinderhospiz zu engagieren, habe sie eine Freundin sie gefragt, ob sie denn immer noch nicht den Tod ihres Babys verarbeitet habe, sagt Christina Vinke am Schluss des Gesprächs. Das sei aber gar nicht der Motor ihres freiwilligen Engagements, machen sie und ihr Mann Heinz, die zwei erwachsene Kinder und einen zweijährigen Enkels haben, deutlich. „Wir wollen als Betroffene unsere Erfahrungen weiter geben.“

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