Minsk (dpa)

Staatschef Lukaschenko zum sechsten Mal ins Amt eingeführt

Ulf Mauder, dpa
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Von Ulf Mauder, dpa
| 23.09.2020 10:49 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Als Geheimoperation zieht Staatschef Lukaschenko in Belarus nach 26 Jahren an der Macht seine sechste Amtseinführung durch. Der als „Europas letzter Diktator“ verschriene Politiker sieht seine Gegner und die Revolution besiegt. Aber der Protest ist groß.

In einer weithin als „Farce“ bezeichneten Spezialoperation hat sich der umstrittene Staatschef Alexander Lukaschenko in Belarus zum sechsten Mal ins Amt einführen lassen.

Im Präsidentenpalast in Minsk bezeichnete der 66-Jährige die Revolution in seinem Land als gescheitert. „Das ist unser gemeinsamer Sieg“, sagte er bei der offiziell nicht angekündigten Amtseinführung.

Wie eine Geheimaktion zog der Machtapparat den Staatsakt durch. „Das ist natürlich eine Farce“, meinte die Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja in einer Videobotschaft. Die 38-Jährige beansprucht selbst den Sieg der Präsidentenwahl vom 9. August für sich.

Sie sei die einzige rechtmäßige Vertreterin des Volkes von Belarus (Weißrussland), sagte Tichanowskaja. Lukaschenko hingegen sei jetzt „Rentner“. Er habe kein Mandat mehr vom Volk. Auch Deutschland erklärte, dass Lukaschenko keine Legitimität mehr für das Amt besitze.

Die gesamte EU hatte die Wahl nicht anerkannt und Lukaschenko das Recht abgesprochen, weiter zu regieren. Der seit 26 Jahren regierende Politiker machte aber zuletzt wiederholt deutlich, dass ihn die Meinung des Westens nicht kümmere. Er hatte mehr als 10.000 Menschen bei Protesten festnehmen lassen. Es gab mehrere Tote und Hunderte Verletzte.

Der Machthaber ließ am Morgen in Minsk die großen Straßen - den Prospekt der Unabhängigkeit und den Prospekt der Sieger - sperren, um sich mit großer Eskorte durch die Stadt zum Unabhängigkeitsplatz chauffieren zu lassen. Erst da machte sich in den sozialen Netzwerken Aufregung breit, ob das bedeuten könnte, dass er zur Amtseinführung in den Palast gebracht werde. Dort warteten bereits 700 handverlesene Gäste - vor allem viele von den Streitkräften.

Der von seinen Kritikern als „letzter Diktator Europas“ beschimpfte Lukaschenko schwor seinen Eid auf die Verfassung in belarussischer Sprache - sonst spricht er nur Russisch - und ließ sich von Wahlleiterin Lidija Jermoschina die Amtsurkunde aushändigen. „Wir haben nicht nur einen Präsidenten des Landes gewählt. Wir haben unsere Werte verteidigt, unser friedliches Leben, die Souveränität und die Unabhängigkeit“, sagte er.

2020 werde in die Geschichte als „sehr emotionales Jahr“ eingehen, sagte Lukaschenko. Die Versuche, das Land zu vernichten, seien gescheitert. „Wir sind im Kreis der wenigen - wir sind vielleicht sogar die einzigen -, wo die „farbige Revolution“ keinen Erfolg hatte“, sagte er. Es habe einen „teuflischen Druck“ auf das Land von außen gegeben.

Hunderttausende Menschen hatten nach der umstrittenen Präsidentenwahl vom 9. August gegen Lukaschenko protestiert und seinen Rücktritt gefordert. Auch am Tag der überraschenden Amtseinführung protestierten Menschen in Minsk - es gab erneut Festnahmen.

„Ein Mensch, der 80,1 Prozent der Stimmen erhalten haben will, versteckt sich nicht vor seinem Volk und erledigt seine Amtseinführung im Geheimen“, sagte der Politologe Waleri Karbelewitsch in Minsk der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Diese Geheimoperation werde dazu führen, dass sich die schwere politische Krise im Land fortsetze und vertiefe. „Auch die Spaltung in der Gesellschaft wird größer, denn die Mehrheit der Menschen in Belarus erkennt diese Wahl nicht an.“

Lukaschenko habe mit dem extra nicht angekündigten Termin der Amtseinführung gezeigt, dass er sehr wohl verstehe, dass ihm der Rückhalt fehle in der Gesellschaft, meinte der Experte. „Der Machtapparat hatte Angst, dass mit einer Bekanntgabe der Amtseinführung Massenproteste auf den Straßen losgetreten werden.“ Von einer „Schande“ und einer Aktion wie in einem Verbrecherstaat sprach der frühere Kulturminister Pawel Latuschko, der in der Opposition ist und das Land verlassen hat. 

Auch Polens Außenministerium reagierte kritisch auf die Amtseinführung Lukaschenkos. Ein Präsident, der auf undemokratische Weise gewählt worden sei, könne nicht als legaler Machtinhaber anerkannt werden - unabhängig davon, ob seine Vereidigung nun im Geheimen oder offiziell stattgefunden habe, hieß es in einem Statement des Ministeriums auf Twitter.

Auch der Kreml in Moskau teilte mit, nichts gewusst zu haben von dem Termin. Es handele sich um das souveräne Recht eines unabhängigen Staates, hieß es nur. Kremlchef Wladimir Putin hatte Lukaschenko zum Sieg gratuliert und ihm Unterstützung in der Krise zugesichert - vor allem mit einem neuen Kredit, aber notfalls auch mit Truppen. Der Machthaber von Minsk hatte zuletzt immer wieder betont, sich notfalls mit der Armee den Machterhalt zu sichern.

„Ich kann nicht anders; ich habe kein Recht, die Menschen in Belarus fallen zu lassen“, betonte Lukaschenko bei seiner Amtseinführung. Und er bekräftigte seine Pläne einer Reform der Verfassung. Auch das Parteiensystem solle weiter entwickelt werden, sagte er. In Belarus ist seit mehr als 20 Jahren keine Partei mehr zugelassen worden. Kritiker werfen Lukaschenko vor, dass bisherige Versprechen von Reformen immer im Sande verlaufen seien.

Es würden alle Probleme gelöst, meinte Lukaschenko. Der einzige Weg, um in Zukunft zu überleben, betonte er, sei ein „starker Machtapparat“. Menschenrechtler und Politologen hatten zuletzt ein massives Anziehen der politischen Daumenschrauben und eine Verschärfung der Repressionen beklagt. „Dieser Trend wird nun weiter gehen“, sagte Karbelewitsch der dpa. „Lukaschenko ist jemand, der bekannt ist für seine Rachsucht, er wird weiter gegen jeden seiner Gegner vorgehen - sie einsperren oder außer Landes bringen lassen.“

© dpa-infocom, dpa:200923-99-674079/11

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