Washington (dpa)

Washington trauert um Richterin Ginsburg

| 23.09.2020 05:13 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 4 Minuten
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Die Bürger in den USA nehmen Abschied von Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg, während der politische Streit um ihre Nachfolge andauert. US-Präsident Trump will am Samstag eine Kandidatin präsentieren - er ist sich der Unterstützung der Republikaner sicher.

Mitten in der Trauer um die verstorbene Richterin Ruth Bader Ginsburg hält der Streit zwischen Republikanern und Demokraten um die Nachbesetzung des Postens an.

Zum Auftakt mehrtägiger Gedenkzeremonien würdigte der Vorsitzende Richter am Supreme Court, John Roberts, seine Kollegin am Mittwoch als Kämpferin für die Gleichbehandlung der Geschlechter und sagte, Ginsburgs Arbeit werde das Gericht auf Jahrzehnte prägen. US-Präsident Donald Trump, der Ginsburg nach Angaben des Weißen Hauses am Donnerstag am Supreme Court seinen Respekt zollen will, hat angekündigt, am Samstag eine Kandidatin für die Nachfolge vorschlagen zu wollen.

Trump sieht seine republikanische Partei bei dem umstrittenen Unterfangen, Ginsburgs Posten in dem einflussreichen Gericht schnell nachzubesetzen, hinter sich. Der Präsident sagte am Dienstagabend (Ortszeit) bei einem Wahlkampfauftritt in Pittsburgh, es gebe „enorme Unterstützung“ durch die Partei. „Sie ist noch nie so vereint gewesen.“ Kandidaten für einen Richterposten am Supreme Court werden vom Präsidenten nominiert und müssen vom Senat bestätigt werden. In der Parlamentskammer haben Trumps Republikaner die Mehrheit.

Die Demokraten fordern, dass Ginsburgs Posten im Supreme Court vom Sieger der Präsidentenwahl am 3. November besetzt wird. Das war nach Angaben ihrer Enkelin Clara Spera auch Ginsburgs letzter Wunsch. Der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, Mitch McConnell, will trotzdem noch in diesem Jahr abstimmen lassen. In den Reihen der Republikaner ist bislang kein entscheidender Widerstand gegen eine schnelle Abstimmung erkennbar. Erwartet wird, dass die Mehrheit für die Bestätigung von Trumps Kandidatin zustande kommt.

Der Minderheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, warf den Republikanern vor, den Supreme Court politisch weiter nach rechts verschieben zu wollen. Damit würden die Werte der Mehrheit der Amerikaner nicht gespiegelt, kritisierte er.

Die Demokraten hoffen, dass ihrem Kandidaten Joe Biden als Sieger der Präsidentenwahl das Vorschlagsrecht für eine Nachbesetzung zufällt. Da bei der Wahl auch über die Neubesetzung von rund einem Drittel der Senatssitze entschieden wird, könnten sich die Mehrheitsverhältnisse zugunsten der Demokraten drehen. Damit könnten sie Trumps Kandidaten blockieren. Der neue Senat tritt am 3. Januar zusammen. Der Gewinner der Präsidentenwahl wird am 20. Januar vereidigt.

Bis Donnerstag können Bürger der prominenten Juristin am Supreme Court die letzte Ehre erweisen. Am Freitag soll der Leichnam im US-Kapitol gegenüber vom Supreme Court aufgebahrt werden - eine seltene Ehre für Richter des Obersten Gerichts, die 1930 lediglich dem damaligen Vorsitzenden Richter William Howard Taft zuteil wurde. Die Beisetzung Ginsburgs im privaten Rahmen auf dem Nationalfriedhof Arlington bei Washington ist nach Angaben des Gerichts für kommende Woche geplant.

Richter Roberts nannte Ginsburg bei einer privaten Zeremonie im Supreme Court „zäh, mutig, eine Kämpferin, eine Siegerin“ und „rücksichtsvoll, achtsam, mitfühlend, ehrlich“. „Das Leben von Richterin Ginsburgs war eine von vielen Versionen des American Dream“, sagte Roberts. Ginsburg habe Siege errungen, die dazu beigetragen hätten, dass es in den USA mehr Gleichheit unter dem Gesetz gebe. Ihre 483 Stellungnahmen, mit denen sie der Mehrheitsmeinung des Gerichts widersprach, würden dem Supreme Court für Jahrzehnte eine Richtschnur geben, sagte Roberts.

Die Besetzung der freigewordenen Stelle im Obersten US-Gericht könnte einschneidende Folgen für die gesellschaftspolitische Ausrichtung des Landes haben. Von den neun Sitzen im Supreme Court werden nach Ginsburgs Tod nur noch drei von Liberalen gehalten, die fünf verbliebenen Richter gelten als konservativ. Mit Entscheidungen etwa zum Recht auf Abtreibung, zu Einwanderungsfragen oder zu Bürgerrechten könnte ein deutlich konservativeres Amerika entstehen.

Da die Richter auf Lebenszeit ernannt werden, könnte Trump die konservative Mehrheit mit der Ernennung einer vergleichsweise jungen Richterin auf Jahre oder gar Jahrzehnte hinaus zementieren. Die linksliberale Juristin Ginsburg starb am Freitag im Alter von 87 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung.

© dpa-infocom, dpa:200923-99-670481/8

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