Berlin (dpa)

SPD hat Kanzlerkandidaten: Scholz glaubt an über 20 Prozent

| 10.08.2020 11:07 Uhr | 0 Kommentare | Lesedauer: ca. 5 Minuten
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Trotz des Dauertiefs seiner Partei setzt Vizekanzler Olaf Scholz auf Sieg. Er will die große Koalition nach der Bundestagswahl beenden und eine Mitte-Links-Regierung führen. Bis dahin aber: Zusammenarbeit mit der Union.

Der frisch ernannte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz will mit einem Programm für eine moderne Wirtschaftspolitik, starke Arbeitnehmerrechte und schärferen Klimaschutz mehr als 20 Prozent der Wählerstimmen holen.

Zugleich bekräftigte der Vizekanzler, dass die SPD die Zusammenarbeit mit der Union zur Bewältigung der Corona-Krise zunächst verantwortungsvoll fortsetzt. „Wir regieren, und das werden wir auch weiter tun. Der Wahlkampf beginnt nicht heute“, sagte der Finanzminister am Montag bei einer Pressekonferenz mit den SPD-Parteichefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

Vorstand und Präsidium der Partei hatten Scholz kurz zuvor einstimmig als Kanzlerkandidaten nominiert. Eine Bestätigung auf einem Parteitag ist danach nicht mehr nötig. Die SPD ist damit die erste im Bundestag vertretene Partei mit einem Kanzlerkandidaten für die Wahl im Herbst 2021. Scholz sagte: „Ich freue mich über die Nominierung und ich will gewinnen.“

Der Vizekanzler machte deutlich, dass er für die Zeit nach der Wahl keine Fortsetzung der großen Koalition wolle, sondern eine Koalition unter Führung seiner Partei das Ziel sei. Die große Koalition sei kein „Normalmodell“. Es könne der Eindruck entstehen, das Lösungen im Hinterzimmer ausgehandelt würden.

SPD und Linke haben sich bereits offen für ein rot-rot-grünes oder auch grün-rot-rotes Bündnis gezeigt, die Grünen äußern sich dazu derzeit aber nicht - und halten sich somit auch die Option Schwarz-Grün offen. SPD, Linke und Grüne hätten nach aktuellen Umfragen bei einer Bundestagswahl keine Mehrheit, Union und Grüne dagegen sehr wohl.

Man werde sich auf keinen Fall durch einen „nicht ganz glücklichen Zeitpunkt“, den andere setzten, unter Zugzwang setzen lassen, sagte Grünen-Parteichef Robert Habeck in Berlin. Auch die Debatte über eine Koalition von SPD, Linken und Grünen nach der Bundestagswahl will die Grünen-Spitze nicht vorantreiben.

Die SPD-Parteichefs lobten Scholz als Krisenmanager der Bundesregierung in der Corona-Krise. „Olaf Scholz genießt hohes Ansehen in der Bevölkerung, aber auch in der Partei“, sagte Walter-Borjans. Scholz könne und wolle für eine sozialdemokratische Politik kämpfen, sagte Esken.

Scholz selbst nannte 3 Punkte, die er als wesentliche Aufgaben der künftigen Regierung bezeichnete. „Erstens geht es um Respekt“, sagte er mit Blick auf die Rolle von Arbeitnehmern. Heldinnen und Helden der Corona-Krise befürchteten, dass ihre Rolle bald wieder vergessen sei. „Respekt und Anerkennung drückt sich auch in ordentlichem Gehalt aus“, sagte Scholz. Und: „Wir sind nicht bei den Leuten, die sich für etwas Besseres halten.“

Zudem gehe es im kommenden Jahrzehnt darum, die Zukunft für dieses Jahrhundert zu entwickeln. Es müsse mehr Tempo beim Kampf gegen den Klimawandel geben. Scholz forderte einen technologischen Aufbruch mit erneuerbaren Energien und einer Wasserstoffwirtschaft. Dritte große Aufgabe sei es, Europa nach der Corona-Krise weiter zu entwickeln. „Europa, das ist die Zukunft für unser Land“, sagte Scholz.

Die Personalie war lange vermutet worden - war in der Partei aber zugleich extrem umstritten. „Wir wissen, dass diese Entscheidung für einige eine unerwartete Wendung darstellt“, erklärten die Parteichefs daher. „Wir bitten um Vertrauen in unseren Weg. Wir sind entschieden, diesen Weg gemeinsam zu gehen.“

Esken und Walter-Borjans galten lange als Gegner von Scholz, setzten sich im vergangenen Jahr bei der Wahl des Parteivorsitzenden auch gegen ihn durch. Seitdem habe es einen „engen Schulterschluss“ und eine vertrauensvolle Zusammenarbeit von Parteispitze, Fraktionsführung und den sozialdemokratischen Ministern gegeben, erklärten die Parteichefs.

Scholz ist bei der Bevölkerung Umfragen zufolge der beliebteste SPD-Politiker und hatte sich in der Corona-Krise mit beherztem Handeln und dem Schnüren milliardenschwerer Hilfspakete profiliert. In der SPD selbst ist er allerdings umstritten - vor allem beim linken Flügel. Deren Vertreterin, die Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis, sagte der „Augsburger Allgemeinen“: „Das Rezept der vergangenen Jahre, im Milieu der konservativen und liberalen Wähler zu fischen, wird auch dieses Mal nicht aufgehen.“

Zuletzt hatten sich vor allem Mitglieder der Bundestagsfraktion und andere SPD-Minister für ihn als Kanzlerkandidaten ausgesprochen. Fraktionschef Rolf Mützenich erklärte nach dem Vorstandsbeschluss: „Olaf Scholz hat mit seinen großen politischen Erfahrungen in Regierung und Parlament sowie als Länderregierungschef bewiesen, dass er unser Land auch in schwierigen Zeiten führen kann.“ Mit großer Konzentration und Reformwillen setze er die richtigen Schwerpunkte, damit Deutschland sozial gerecht und wirtschaftlich stark bleibe. „Er ist deshalb unser Kanzlerkandidat.“ Die Fraktion werde ihn mit aller Kraft und Überzeugung unterstützen. „Darauf ist Verlass.“

Der Linken-Vorsitzende Bernd Riexinger zeigte sich mit Blick auf die Kanzlerkandidatur von Scholz vorerst zurückhaltend. „Der Name selbst ist jetzt nicht so überraschend“, sagte Riexinger am Montag in Berlin. Die Linke mache die Frage von zukünftigen Koalitionen nicht von den Personen abhängig, die andere Parteien nominierten.

Der Bewerber um den CDU-Vorsitz und frühere Unionsfraktionschef, Friedrich Merz, sagte Scholz ein Scheitern vorher. „Olaf Scholz wird es so ergehen wie Peer Steinbrück 2013: Der Kandidat passt nicht zur Partei“, sagte Merz der „Rheinischen Post“. Ähnlich äußerte sich sein Mitbewerber, der Außenpolitiker Norbert Röttgen. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak schrieb dem Vernehmen nach an Funktionsträger der Partei, die Nominierung „nehmen wir mal gelassen zur Kenntnis“.

Aus Sicht von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat die SPD ihren Kanzlerkandidaten zu früh bekannt gegeben. Der CSU-Chef warnte davor, angesichts der schwelenden Corona-Pandemie zu früh in den Bundestagswahlkampf zu starten.

© dpa-infocom, dpa:200810-99-109096/6

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